Honig

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz

Honig
 
Mögen Sie gern Honig? Ich sage Ihnen auch, warum ich da jetzt so abrupt drauf gekommen bin. Und zwar, es gab mal eine furchtbare Zeit, eine grausame Zeit. Aber in dieser Zeit gab es Kunsthonig! Der Honig konnte objektiv für diese Zeit gar nichts, der konnte da gar nichts für. Sondern ich meine, eigentlich hätte es auch Volkshonig heißen müssen. Volkswagen, Volksempfänger, Volkshonig! Aber ganz abgesehen von alldem, soll ja Honig sehr gesund sein. Sagt man ja überall. Also, wenn man ´n bißchen erkältet ist, und wenn ich mal in meine alte Heimat komme und bin so 200 Meter vor der Haustür, dann höre ich schon so Sätze wie „Da nimmste mal ´n Löffelken Honig, und dann sollsse mal sehen.“ „Hasse schon Honig genommen, hasse schon Honig genommen, musse Honig nehmen, warum nimmsse denn kein Honig, dumme Jung, nimma Honig, Honig, Honig, lecker..., sollsse ma gucken, nimma Honig.“
Nun hab ich ja festgestellt, daß die, die am gesündesten leben, die meisten Krankheiten haben. Ist ja eigentlich auch logisch, denn sehen Sie mal, je gesünder man sich verhält, desto anfälliger wird ja der Körper, ist doch ganz zwingend. Das ist doch wie bei Rassetieren, da gibt´s ja so hochgezüchtete Hunde, die haben doch alle fünf Minuten was anderes, nicht wahr. Also in meiner nächsten Verwandtschaft, da kenne ich Leute, die rauchen nicht, trinken nicht, gehen auch sonst früh nach Bett, haben alle möglichen Ratschläge immer parat. Sind immer am überlegen, wie sie noch gesünder leben können. Fitness-Dingsda, sind aber dauernd krank. Ein Arzttermin jagt den anderen. Ich dagegen, immer im Streß, Tag und Nacht unterwegs, wenig Schlaf immer auf Achse, hab dagegen so gut wie gar nichts. Und zwar nicht, weil ich jeden Tag Honig eß, sondern weil anscheinend meine Seele relativ in Ordnung ist. Ich sag immer so, ich kann mir eigentlich ein gesundes Leben gar nicht leisten, dann würde ich sofort krank werden!
Also, ich in einem Fitnesscenter, können Sie sich das vorstellen? Grauenhaft, grauenhaft! Mit so ’ner Hantel in der Hand! Grauenhaft! Oder ich inmitten von 10.000 um Atem ringenden Waldläufern, sonntags morgens um fünf? Hohoho! Heller Wahnsinn, heller Wahnsinn, obwohl es vielleicht noch dunkel ist. Nun müssen Sie aber nicht denken, daß ich nicht für die Gesundheit wär, ich meine, daß wir uns da nicht mißverstehen. Ich nehme auch schon mal ’n Vitamintrunk zu mir. Aber eigentlich nur, weil mich das an das Brausepulver aus meiner Kindheit erinnert. Ja, da gab´s neben unserer Volksschule, so hieß das ja damals, gab´s so `n kleinen Laden mit Lakritz und Studentenfutter, und die hatten auch noch so kleine Tütchen mit Brausepulver. Den Inhalt sollte man eigentlich zu Hause erst in Wasser aufIösen. Aber so lange haben wir nie gewartet, wir haben gleich den Strohhalm in die Tüte gestopft oder manchmal alles so von der Hand abgeleckt. Mein Lieblings-Brausepulver war ja Waldmeister! Auch heute noch - oder später bei Wackelpeter - immer nur Waldmeister!
Na ja, und außerdem denke ich mich auch zwischendurch gesund. Also, das ist bei diesem merkwürdigen, zwischenmusischen Beruf ist das unbedingt vonnöten, sich manchmal ganz schnell gesund zu denken. Und dann esse ich auch schon mal ´n Löffelken Honig. Auch wegen der Stimme. Aber ich weiß ja nicht, wie´s Ihnen dabei geht. Es ist ja bei jedem sicher wieder anders, aber jedesmal, ich kann mich so in acht nehmen, und ich nehme mich auch so in acht!
Ich hab neulich, habe ich mich wieder so in acht genommen! Wir Niederrheiner sind ja ganz bindungsfähige Sprecher. Wir können ja nicht „in acht nehmen“ sagen, wir sagen: „Ich hab mich soinacht genommen!“ Also, was die am Tag machen, weiß man gar nicht! Wir haben ja auch so ´n Betonungsduktus, wir sagen nicht normal so grade durch „habe mich so in acht genommen“, wir sagen: „Ich hab mich soinacht genommen.“ Wir können ja auch nicht „Tante Maria“ sagen, wir sagen; „Tammaria“, mit zwei m, „ich geh mal rasch zu Tammaria.“ Das klingt ja wie ein Urlaubsort in der Bucht von Genua. „Da fährsse erst bis Camolgi und dann nimmsse ’n Motorboot bis nach Punta di Chiappa, da gehsse die 300 Stufen hoch, da oben liegt ja Alberto Stella Maris - und gleich dahinter kommt Tammaria!“ Wir können ja auch kein Sch von S trennen. Wenn wir in die Kneipe gehen, sagen wir jedesmal „ich hätt gerne `ne Gulaschschuppe. Wollen wir uns an den Tischschetzen. Haben Sie auch ´ne Rindfleischschuppe? Soll komischschein.“
Ne, aber jedesmal, wenn der Honig auf mich zukommt, nehm ich mich wirklich in acht. Also neulich wieder, ich sag schon vorher, wenn der Honig morgens auf mich zukommt, „Ach du lieber Himmel, ach, jetzt kommt wieder das Drama mit dem Honig.“ Denn, wenn der Honig nicht zum Propheten kommt, muß der Klebstoff zum Bahnhof gehen. Das ist ein Spruch aus dem Arabischen. Und der steht immer untendrunter, ganz klein, aus dem Arabischen von Inge Müller-Kampen. Das ist meine Lieblingsstelle. Also ich hab mich neulich wieder so in acht genommen. Aber, wenn ich schon dieses Frühstücks-Honigdöschen morgens nur aufmache, nur aufmache, nur aufmache - klebt schon alles. Kennen Sie das? Ich weiß nicht, wie das kommt, ich bin völlig ratlos, es ist also, als wenn ich kein Abitur gemacht hätte. Dann gehe ich ganz vorsichtig mit der Messerspitze in den Honig rein, drehe den Griff in gebührendem Abstand vom Honig hin und her, um dann den Honig blitzschnell aufs Brötchen zu klatschen. Was passiert? Meine ganze Hand ist klebrig! Es ist Zauberei, es ist Zauberei, Zauberei! Und ich nehme mich wirklich in acht! Dann nehme ich die Brötchenhälfte behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger, führ sie schnurstracks zum Mund, was passiert - mein ganzer Bart klebt! Also wissen Se, sauer macht ja schon lustig, aber Honig macht schizophren! Ich bin ja bekanntlich der Sohn eines preußischen Verwaltungsbeamten. Aber manchmal habe ich die starke Befürchtung, daß ich der Sohn eines Imkers bin. Eines preußischen Verwaltungsimkers! Eines evangelischen, preußischen Kreisverwaltungsimkers!
 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Illustration stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung