Hotel Bellevue

Frank Kunert – „Wunderland“

von Frank Becker

Ein Kleinod
 
Frank Kunert (*1963) hat es wieder getan – oder besser: er tut es immer noch, fortwährend und in bewährt hoher Qualität. Was? Na, den Betrachter seiner aberwitzigen Foto-Installationen mit immer wieder neuen und verblüffenden optischen Verrücktheiten zu überraschen, mehr noch, zu überwältigen. Was Frank Kunert, den die damalige Fotoredakteurin der Musenblätter, Alina Gross, bereits 2007 entdeckt hatte, nämlich tut, ist so einzigartig, daß sich jetzt nicht nur Kalenderverlage auf seine Motive stürzen, sondern seither auch etliche Galerien sich um Ausstellungen bemühen und der Hatje Cantz Verlag – der ihn schon 2008 mit „Verkehrte Welt“ entdeckt hatte – nun einen zweiten Band mit seinen skurrilen und mitunter grausam lustigen Bildern vorgelegt hat.
 
In den bis ins Allerkleinste unerhört detailverliebt inszenierten Fotografien Frank Kunerts geht es, durch die Raffinesse der Methode gelegentlich auch erst auf den zweiten Blick, recht seltsam zu, denn er liebt und konstruiert das Absurde. Da pappt in „Kleinod“ vor dräuendem Kühlturm am maroden Atommeiler ein gemütlicher Balkon mit Geranien und rot-weißem Sonnenschirm. Letzte Rettung bietet in „Außentoilette“ eine biedere Kloschüssel mit Häkel-Rolle – allerdings auf der Oberfläche des Erdtrabanten, während in der Ferne der blaue Planet als dem All leuchtet. Für Auferstehung und Winterschlaf ist in den gleichnamigen Sujets alles penibel vorbereitet, und wer „Auf hohem Niveau“ leben möchte, muß über ein mächtiges Schrittmaß verfügen. Frank Kunert mach einen praktikablen Vorschlag, wie man das „Babyphon“ auch von weiter weg hören kann und sein von DEHOGA und ADAC geprüftes „Hotel Bellevue“ macht genau den heimelig morbiden Eindruck, den Kunerts Fassaden gerne muffig verströmen. Aber die Aussicht ist gut – Bellevue eben. Daß man bei einer „Geschlossenen Gesellschaft“ keine Kompromisse macht, zeigt das entsprechende Motiv. Hier wie übrigens bei vielen seiner Arbeiten in diesem Band setzt Frank Kunert als Symbol für die gesellschaftliche Kälte den Schnee ein. Allein das macht frösteln. Dennoch, den Blick mag man von den Bildern und all den wunderbaren Details wie Wandschmuck, benutzen Automodellen, verrotteten Plakaten für BOLS und Deinhard, dem Rednerimbiß u.v.a.m. nicht abwenden.  
 
Der Verlag: „Bilder dieser Art erschafft der Modellbauer und Fotograf in wochenlanger Kleinarbeit, um so den grotesken Auswüchsen des zivilisierten Lebens ebenso komisch und erheiternd wie tiefgründig Ausdruck zu verleihen. Die Ambivalenz zwischen Tragik und Humor reizt den Künstler immer wieder aufs Neue und durchzieht seine surreal anmutenden Bildwelten in unerschöpflicher Vielfalt. Melancholie und schräger Witz liegen in diesem Wunderland der Absurditäten nah beieinander – überraschend und zum Nachdenken anregend.“ Genau so ist es.
Im englisch-deutschen Vorwort von Elizabeth Clarke zeigen einige schwarz/weiße Bilder, wie Frank Kunert das macht – wiewohl dadurch kaum die Mühe und Detailarbeit vermittelt werden können, die wirklich hinter den Bild-Satiren Kunerts stecken. Für Freunde des gepflegten Nonsens ein wirkliches Muß! Und von uns für Frank Kunert und seine Arbeit den Musenkuß!


© Frank Kunert
 
Frank Kunert – „Wunderland“
Hrsg. Thilo von Debschitz, Text von Elizabeth Clarke, Gestaltung von Q Kreativgesellschaft mbH, Wiesbaden,
© 2013 Hatje Cantz Verlag, 72 Seiten, Halbleinen, 31 farbige Abbildungen, 22 x 22 cm, Text in  Deutsch und Englisch  -  ISBN 978-3-7757-3583-4
16,80 €
 
Weitere Informationen: www.hatjecantz.de