Ein Museum für Ernst Ludwig Kirchner

Sommerreise 2013 nach Davos

von Jürgen Koller


Ein Museum für Ernst Ludwig Kirchner
 
Sommerreise 2013 nach Davos
 
Davos im Sommer ist ohne Glamour und Glanz – Banken und immer wieder Banken prägen das Straßenbild an der langgezogenen „Promenade“, der Hauptstraße durch die Graubündener Stadt. Dazwischen Nobelherbergen und Sporthotels, die winters die Reichen und Schönen und die „Fans der Pisten“ beherbergen. Im Gegensatz zum heiteren Flair des Südtiroler Meran ist das fast völlige Fehlen von Straßencafés auffällig. Dafür wurden die Reisenden aus dem Rheinland mit einem zünftigen Volksfest auf der abgesperrten Promenade mit Alphornbläsern und Trachten-,Jodler- und Musikgruppen aus dem Graubündener Land entschädigt. Daß die Bratwurst 7 CHF (also rd. 6 €) und das Bier oder der kleine Rote 8 CHF an den Imbißständen kosteten, sei nur nebenbei erwähnt.
 
Ziel der Sommerreise vom sommerlich-heiteren Meran aus über Reschenpass und Flüela-Paß vorbei an der Schneegrenze von 2400 Metern in diesen Teil der Schweizer Bergwelt waren weder die

Ernst Ludwig Kirchner Bogenschützen, 1935-37
verschlungenen Pfade der eidgenössischen Finanzwelt, noch war die Spurensuche zu Thomas Manns „Zauberberg“ angesagt. Es war der lang ersehnte Besuch des Kirchner-Museums und des Künstlers Grab auf dem Davoser Waldfriedhof. Ein Faltblatt wirbt mit dem eingängigen Slogan „Ein Museum für Ernst Ludwig Kirchner“. Mit bedingt durch die widrigen Umstände von 1. Weltkrieg, Inflation und Nazi- Herrschaft ab 1933 sind für den deutschen Kunstfreund die expressionistische Bildwelt Kirchners aus der Zeit der „Dresdener Brücke“ von 1905 und später ab 1910/11 dessen Berliner Großstadtbilder oftmals gegenwärtiger als die großartigen Menschen- und Landschaftsdarstellungen aus des Künstlers Schweizer Wahlheimat, wo er seit 1917 krankheitsbedingt lebte und arbeitete. Das Museum zeigt in ständig wechselnden Präsentationen Teile aus seinem riesigen Bestand von 1500 Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen, druckgrafischen Blättern und textilen Objekten sowie 160 Skizzenbüchern des Künstlers. Die Sammlung deckt alle wesentlichen Themen und Schaffensperioden repräsentativ ab – von der „Brücke“ bis zum Schweizer Spätwerk. Neben Kirchner werden in Sonderausstellungen auch andere wichtige Repräsentanten der Klassischen Moderne und der zeitgenössischen Kunst vorgestellt. Ist es schon ein außergewöhnliches Kunsterlebnis, Kirchners Werke am Ort ihrer Entstehung kennenzulernen, so ist der museale Ausstellungsort gleichermaßen beeindruckend. Das Kirchner Museum, 1992 eröffnet,  ist ein Meisterwerk moderner Museumsarchitektur, geschaffen von den Zürcher Architekten Anette Gigon und Mike Guyer. “In seiner schlichten, konsequenten Bauweise aus Glas, Beton, Stahl und Holz gilt es bis heute als wegweisend für eine neue Auffassung in der Museumsarchitektur“, heißt es im Prospekt des Kirchner Museums. Das Museumsgebäude ist eine Schenkung der Familienstiftung Benvenuta, die auch eine umfangreiche Sammlung von Werken des Künstlers in die Ernst Ludwig Kirchner Stiftung Davos einbrachte. Dank der großzügigen Schenkung des Ehepaars Rosemarie und Roman Norbert Ketterer und weiterer Stifter konnte der Kunstbestand des Museums erheblich erweitert werden. Ketterer war der Nachlassverwalter Kirchners in den Jahren von 1953 bis 2002.
 

Ernst Ludwig Kirchner - Zeichnender Schmidt-Rottluff, 1910
Seit den frühen 20er Jahren orientierte sich Kirchner künstlerisch neu. Seine nervösen, flüchtig wirkenden, wie in Federkleider gehüllten Berliner Halbwelt-Damen und Melonen-Träger, die der Hektik der Großstadt verpflichtet waren, wurden von fest gebauten, klar formulierten Stadtansichten oder von Schweizer Landschaften mit Betonung der schroffen alpinen Bergwelt abgelöst. In seinen realistischen Menschenbildern – oftmals nach Fotografien gearbeitet - spürt der Betrachter Kirchners Sympathie für die Menschen seiner Davoser Umgebung und die Achtung und den Respekt vor deren kargen, entbehrungsreichen Leben.
Seelisch und körperlich angegriffen, stürzten Kirchner die Entfernung seiner Bilder aus den Museen des Deutschen Reichs durch die Nazis und die verunglimpfende Präsentation in der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in eine tiefe Krise. Er sah 1938 nur im Freitod einen Ausweg. Sein Grab und das seiner langjährigen Gefährtin Erna Schilling (gest. 1945) befinden sich auf dem Davoser Waldfriedhof, nicht weit vom Haus „Auf dem Waldboden“, wo beide jahrelang gelebt hatten. Gleich neben den beiden Gräbern fand auch Ketterer, der Bewahrer und Pfleger des Kirchner Nachlasses, seine letzte Ruhestätte. Im Museum wird über Leben und Werk ein einfühlsamer Film gezeigt, der die Präsentation seiner Werke sinnreich unterstützt. Der Film ist auch als DVD im Museumsshop für 32 CHF erhältlich.
 
Noch bis zum 17. November zeigt das Museum zwei Sonderausstellungen: „Kirchners Bogenschützen /kunstgeschichtliche Reflexionen“. Kirchner hat sich schon seit seinen Moritzburger Jahren nach 1905 bis in die Zeit um die Mitte der 30er Jahre mit dem Bogenschießen sportlich und künstlerisch befaßt. In diesen Jahren betrieb er auch „Beleuchtungsstudien und interessierte sich für Schattenphänomene“. Eines der Hauptwerke dieser Jahre ist „Bogenschützen“ von 1935/37. „Seine Malerei ...zeigt ein höchst reizvolles Spiel mit der Vervielfältigung menschlicher Figuren durch farbige Lichtkegel und Schlagschatten.“ Dieses Spätwerk Kirchners wird in der aktuellen Ausstellung in den Dialog mit Bewegungsabläufen und „dem spielerischen Umgang mit den Schattenproblemen“ in den Werken anderer Künstler gestellt.


Harold E. Edgerton - Bullet through Apple, 1964 - Museet for Fotokunst, Odense/DK
Und die zweite zur Zeit gezeigte Ausstellung ist dem 1973 geborenen Dänen Ebbe Stubb Wittrup gewidmet. Der Fotokünstler, dessen Arbeiten sich zwischen Film, Skulptur, Text und Installation bewegen, zeigt die fotografische Serie „Presumed Reality“, ein Spiel mit „Farben, Formen, Licht und Schatten“ anhand von alten Fotografien von Bergtouren aus Norwegen und der Schweiz der 1950er Jahre – ohne Rücksicht auf das Dargestellte.
 
Der Autor dieser „Sommerreise nach Davos“ hat Frau Astrid Heinrich, PR-Chefin des Kirchner Museums, zu danken, die Zeit für ein Gespräch über das Haus und die Sammlung gefunden hat und  Text- und Fotomaterial zu den aktuellen Ausstellungen sowie ein wunderbares Panorama-Foto des Museums für die Veröffentlichung in den Musenblättern zur Verfügung stellte.


Foto: Kirchner-Museum Davos

Kirchner Museum Davos
Ernst-Ludwig-Kirchner-Platz - CH- 7270 Davos
Telefon +41 (0) 81 410 63 00
 
Eintrittspreise: Erwachsene 12 CHF, Rentner 10 CHF, Kinder, Studenten, Lehrlinge 5 CHF
Öffnungszeiten: Dienstag - Sonntag, Montag geschlossen; Weihnachten bis Ostern und Juli bis September 10 -18 Uhr / übrige Zeit: 14 -18 Uhr