Über Kleben

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Über Kleben
 
Immer wenn ich wieder mal mit Fingernägeln, Nagelfeile, Pinzette, Brieföffner oder Zwiebelmesser an der Rolle Klebefilm herumstochere, weil irgendjemand in der Familie den Film schief abgerissen hat (ich schwöre es: ich tue NIE sowas) und sich jetzt eine schmale Spitze so infam eng an die Rolle anschmiegt, daß nur mit dem Mikroskop der Anfang zu finden ist, fällt mir die Frage ein: wie hat das mit dem Kleben angefangen? Ich meine: wie ist überhaupt die Idee entstanden, Dinge aneinander zu kleben? Dinge, die bis dahin friedlich vor sich hin lebten oder lagen, niemandem was zuleide taten und niemandem signalisierten: klebt mich doch bitte mal mit dem und dem zusammen. Der Chinese hat aus Papier seine Schiffe gefaltet, der Neandertaler hat Netze geknüpft (leider hat er dabei übersehen, daß in Düsseldorf kein Meer ist, also ist er verhungert), der Bayer hat die Alpen mit aufgekrempelten Ärmeln hochgefaltet, mit einem Wort: keiner wäre auf die Idee gekommen, Papier, Kordeln oder Berge zu kleben. Oder überhaupt zu kleben.
Die Idee, zu kleben, egal was, kann nur da entstanden sein, wo einer verzweifelt nach einem Weg gesucht hat, bisher Unvereinbares unter einen Hut zu bekommen. Und zwar nicht Dinge, das wäre trivial, sondern Menschen. Die Idee, zu kleben, hatte kein Erfinder, kein Techniker oder Tüftler, die Idee zu kleben hatte ein Kommunalpolitiker, genauer: ein Oberbürgermeister, noch genauer: ein Kölner Oberbürgermeister. Die exakte Zeit verliert sich im Dunkel der Geschichte, der Name aber ist geblieben: es war Jupp Klüngel, in grauer Vorzeit Oberbürgermeister in Köln. Er hatte als erster die Idee, daß man Menschen aneinander kleben kann im nach ihm benannten Klüngelverfahren. Die bahnbrechende Erkenntnis Jupp Klüngels war: „Warum denn sachlich, wenn es auch persönlich geht?“. Damals kämpften in Köln alle gegen alle. Nix lief mehr. Bis Jupp Klüngel kam und sich einen nach dem anderen vorknöpfte: „Hürens, vom Pitter weiß ich, dat Du domols dat und dat jetan hast, er tät aber nix sage, wenn Du dem Karlheinz dafür jetzt hilfst bei dem singe Antrag beim Kardinal, dofür tät er och e jot Wort einlejen für Dich bei den Roten Funken...“ und schwupp! war Köln EIN Klüngel - und ist es bis heute geblieben. Klüngel ist eine Form der Demokratie - für die Beteiligten. Klüngel ist das gesteuerte miteinander Verbinden bis dahin unbeteiligter Menschen. Genau so ist es beim Kleben. Kleben ist das gesteuerte miteinander Verbinden bis dahin nicht verbundener Elemente. Und einmal mehr staunen wir über die Geschichte und sagen uns: Schau, schau, hätt ich nicht gedacht. Wo man mit Erfindungen doch immer Techniker oder den berühmten anonymen Chinesen im 3. Jahrtausend vor Christus verbindet. Und daran muß ich immer denken, wenn ich an der Klebefilmrolle herumstochere: das ist wie Klüngel, Du kannst stochern wie Du willst, Du kommst nicht rein. Wie das klebt - unwahrscheinlich!
 

In diesem Sinne!
Ihr
Konrad Beikircher
 

 ©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker