Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung"...

...40 Jahre danach: nur noch ein Säuseln

von Frank Becker

Leise Beleidiger

Thorsten Pitoll inszeniert in Wuppertal Peter Handkes olle Kamelle
"Publikumsbeschimpfung"




Inszenierung und Bühnenraum: Thorsten Pitoll  -  Kostüme: Svenja Göttler  -  Dramaturgie: Wilfried Harlandt  -  Inspizienz: Ellen Uta Merkert/Andrea Seliger  -  Regieassistenz: Stefan Leibold, Saskia-Katrin Holte  -  Fotos: Michael Hörnschemeyer
Es spielen: Julia Wolff  -  Andreas Ramstein  -  Hans Richter  -  Henning Strübbe


Anachronistisch

Was vor 40 (!) Jahren bei Peter Handkes wohl bekanntestem Stück für Aufregung in der deutschen Theaterlandschaft sorgte, hat heute allenfalls unterhaltsamen Charakter. Aber auch das nur begrenzt, denn wirklich unterhaltend ist Handkes Anhandlung über Natur und Zweck, Methode und Absicht, Botschaft und Zeit des Theaters über weite Strecken nicht. Um es noch genauer zu formulieren: über gewisse Strecken der 75 Minuten mehr oder weniger sinnvoll aneinandergereihter kurzer und aussagekräftiger überwiegend Hauptsätze kommt Langeweile auf. Das liegt nun aber nicht an der Inszenierung oder den vier Sprechern. Mehr ist einfach nicht drin. Aus der "Beschimpfung" des Publikums - die es im Grunde ja nie war - hat sich das herausgemendelt, was es im Grunde stets gewesen ist und auch sein wollte: ein abseits der Längen recht eloquenter, in seinem theaterhistorischen Bezug aber längst anachronistischer Exkurs über das Theater, also sich selbst. Es hat sich verbraucht.

Flip-Flops

Julia Wolff, Hans Richter Henning Strübbe und Andreas Ramstein - in schlichter schwarz-weißer Garderobe und mit Flip-Flops an den baren Füßen (eine Botschaft?) machen ihre Sache
gut in dem wortreichen, nicht aber wortgewaltigen Stück, das keins sein möchte - in dem Spiel, das vorgibt, keines zu sein.

Hans Richter, Julia Wolff, Henning Strübbe, Andreas
Ramstein (von links) -  Wir werden sie beleidigen...

"Sie werden kein Schauspiel sehen."
"Sie werden ein Schauspiel ohne Bilder sehen."
"Sie denken nicht (mit)!"
"Ihre Gedanken sind frei."
"Ihre Gedanken sind nicht frei!"
"Wir sind das Sprachrohr des Autors.!
"Das ist kein Welttheater."
"Hier werden die Möglichkeiten des Theaters nicht genutzt!"
"SIE lassen uns kalt!"

Zarte Grobheiten

Immerhin schaffen die vier überzeugenden Sprecher es, die olle Kamelle doch mit Leben zu erfüllen. Das "Publikum ohne Eigenschaften" aber aufzuregen, Emotionen zu wecken, gelingt ihnen nicht. Da sitzen die erwartungsfrohen Zuschauer und wollen beleidigt werden. Und in der Tat: erst bei den zarten Versuchen in gewisser Grobheit rührt sich etwas, nämlich zaghaftes Amüsement. So hatte sich das Herr Handke seinerzeit sicher nicht gedacht.
"Hören sie uns nicht zu!"

...wir werden niemanden meinen!

"Sich etwas bieten lassen!"
"Zeit läßt sich nicht spielen."
"Wir werden sie beschimpfen - wir werden niemanden meinen!"
Na also, da wird ja die Entschuldigung gleich mitgeliefert.  Provokation hier, Betroffenheit oder Empörung da findet nicht statt.  Ein bürgerliches Vergnügen, das durch Henning Strübbe, Andreas Ramstein, Julia Wolff und Hans Richter zum sprachlichen Genuß gerät. Am Ende singen die vier zur Melodie von Haydns "Kaiserquartett" ein paar leise Beleidigungen. Gott erhalte Franz den Kaiser!

Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de