Appetithemmer

Donna Leon – „Tierische Profite“

von Frank Becker

Appetithemmer
 
Donna Leons neuer Venedig-Krimi
verdirbt die Lust auf Fleisch
 
Commissario Guido Brunettis 21. Fall geht ein Problem an, das in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen in der Presse gesorgt, die Verbraucher schockiert, die scheinempörte Politik gefordert und nicht nur in Italien keinerlei Änderung von Gesetzen und Kontrollen und zur Folge gehabt hat. Es geht um den skrupellosen Betrug mit verdorbenem, ungenießbarem Fleisch, das von verbrecherischen Händlern, korrupten Kontrolleuren und skrupellosen Schlachthof-Betreibern in die Nahrungskette gebracht wird. Wissen wir eigentlich, was wir auf dem Teller haben, wenn wir in Supermärkten Fleisch kaufen? Wer „Tierische Profite“ gelesen hat, wird schon ein wenig weniger Appetit auf Wurst und Hack, Schnitzel und Filet haben als zuvor – obwohl Donna Leon noch vergleichsweise sachte mit den Realitäten umgeht.
 
Ein Toter wird aus dem Wasser des Kanals Rio del Malpaga geborgen, der den Canal Grande mit dem Rio dell´Avogaria verbindet. Er ist ertrunken, aber erst, nachdem ihn jemand dreimal mit einem Messer in den Rücken gestochen hat. Er hat keine Papiere, niemand scheint ihn zu vermissen, doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis Brunetti, sein Inspektor Vianello, die umtriebige Sekretärin Signorina Elettra und der junge Polizist Pucetti herausgefunden haben, wer es ist. Auf die Spur führen sie eine seltene Krankheit, unter welcher der Tote litt und ein bei ihm gefundener teurer Schuh. Der Mann war der Tierarzt Dott. Andrea Nava, der neben einer Privatpraxis noch eine Stelle als Kontrolleur in einem Schlachthof in Mestre innehatte. Donna Leon hat den Faden, wie seine Ermordung mit seiner Arbeit dort, persönlichen Verstrickungen und wechselseitigen Abhängigkeiten zusammenhängt, flüssig und raffiniert gesponnen. Wie in vielen ihrer Romane spielen die politischen Verhältnisse Italiens, die gesellschaftlichen Zusammenhänge, Korruption, Wohnraum-Spekulation und Vetternwirtschaft eine wichtige Rolle. Donna Leon nimmt aber auch wieder mit in die kleinen Bars und Caffés, die „Fluchtraum“ für Brunetti und Vianello sind, an den Tisch der intakten Familie des Kommissars und in die Gassen und Kanäle der faszinierenden Stadt Venedig.
 
Mit Ihrem Commissario Brunetti und den sich auch in 21. Roman mit ihm entwickelnden Menschen seiner Umgebung hat Donna Leon eine nicht nur eine ungemein erfolgreiche Romanfigur geschaffen, sondern konsequent immer wieder den Finger in politisch-soziale Wunden gelegt. Sicher auch durch die kongeniale Verkörperung der Charaktere in den Fernseh-Verfilmungen durch u.a. Uwe Kockisch (Brunetti), Michael Degen (Vice-Questore Patta), Karl Fischer (Vianello), Patrick Diemling (Raffi) und Laura-Charlotte Syniava (Chiara) und die Besetzung mit starken Darstellern auch in Nebenrollen hat die Reihe Gestalt angenommen und so viel Popularität gewonnen.
Die Anprangerung von Korruption und weit über die Politik hinaus mächtigen Beziehungsgeflechten, die Italien wie einen Staat in der Levante zeigen, ist mutig. Vielleicht deshalb wurden ihre Romane bisher nicht ins Italienische übersetzt. Auch dieser Roman ist wieder äußerst lesenswert.
 
Donna Leon – „Tierische Profite“
Roman
© 2013 Diogenes Verlag, 328 Seiten, Leinen m. SchU – ISBN 978-3-257-06858-0
22,90 €
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch