Turandot zum Zweiten

Eine weitere Meinung zu der Essener Inszenierung

von Peter Bilsing

Kopf ab unterm Olympiastadion


Tilmann Knabe inszeniert aufregende TURANDOT im Essener Aalto-Theater


Premiere 23.September -  Leitung und Personal wie hier: www.musenblaetter.de


Ping, Pang & Pong

„Va fan culo, Knabe!“ ertönt es (fast wie bestellt!?) vom oberen Rang, nachdem sich der Vorhang geschlossen und Maestro Soltesz, wie weiland Toscanini im dritten Akt, nach Liùs Tod den Dirigierstab niedergelegt hat, übereifrig (natürlich auf italienisch!) diskutieren Ping, Pang & Pong am Orchestergraben, ob und wie man nun weiter macht. Das klingt dann in etwa auf Deutsch so: „Wir wollen nicht immer aufhören an dieser Stelle!“ –„Ja es muß weitergehen!“ – „Die Oper braucht ein Happyend!“ – „Wir brauchen alle ein Happyend!“ – „Gut nehmen wir das Berio-Ende!“ –„Berio! Um Gottes Willen, das ist doch kein Puccini-Finale!“ – „Na dann Alfano!“ –„Ja, genau, wir wollen Alfano!“ – „Aber welchen Alfano?“ – „Eins oder zwei?“ – „Drei?“ – „Gibt es nicht!“ - „Alfano gekürzt oder vollständig?“ – „Endlich einmal komplett.“ - „Viel zu lang…!“ Bevor es tumultartige Reaktionen aus dem Publikum gibt, schaltet sich Hausherr Stefan Soltesz aus den Orchestergraben ein: „Hier wird gemacht, was ich sage! Finito!“ Die Musik geht weiter, und wir erleben – zumindest musikalisch – ein Traumfinale, während sich auf der Bühne eher ein Alptraum andeutet. Der große Alfano-Schluß, praktisch ungekürzt! Unfassbar….endlich wagt sich einmal ein Dirigent daran. Merci Maestro! Daß diese wunderbare Musik auch noch im Cinerama-360-Grad-Sound erlebbar wird, ist dem gelegentlich in Essen zu bewundernden Trick zu verdanken Orchesterteile, (hier ein riesiges Brass-Ensemble) auf die oberen Ränge zu verbannen und den Chor im Haus zu verteilen. Was für ein Sound – was für ein akustisches Spektakel! Alleine dafür lohnt sich schon der Besuch dieser Produktion.


Baustelle Olympiastadion - gleich rollt der Kopf...

Doch zurück ganz zum Anfang: Was zeigen uns „Skandal-Regisseur" Tillmann Knabe und sein Bühnenbildner Alfred Peter diesmal für eine Welt? Daß es keine Märchen-Idylle im Kostümrausch werden würde, war anscheinend nicht jedem Besucher der Essener Oper klar – aber kann man denn heutzutage, insbesondere im Internetzeitalter – nicht wenigstens eine marginale Vorbereitung beim Publikum voraussetzen? Ich bin immer wieder ratlos, wenn die überwiegende Mehrheit der Opernbesucher anscheinend auch im Jahre 2007 weiterhin der Meinung ist, alles müsse alles so aussehen, als wenn immer noch Otti Schenk, Herbert von Karajan oder Michael Hampe tätig seien. Darüber hinaus sollte sich die Direktion des Aalto Gedanken machen, ob man Personen (netterweise) Zugang zu Generalproben verschafft, die sich anschließend für diese Freundlichkeit dadurch revanchieren, daß sie sich quasi agitatorisch im Vorfeld lauthals negativ äußern und sogar noch vor der Operpremiere mächtig Anti-Stimmung betreiben.

Keine Liebesheirat

Knabes TURANDOT spielt in einem heutigen gar nicht so fiktiven autoritären Staat, wobei die Maske des tagesaktuellen Chinas zwar nicht mehr so genau paßt, aber durchaus stellenweise kongruente Ansatzpunkte erkennbar macht. Hier wird, wie im Originaltext vorgegeben, geköpft, gefoltert und massakriert – zur Erbauung des Volkes. „Brot und Spiele“ im Kaiserreich unterscheiden sich halt kaum von jenem „panem et circenses“ im alten Rom. Was ist daran so befremdlich? War nicht Turandot auch in schönen 10–meter-langen Samt- und Goldgewändern schon immer eine Serienmörderin? Und was ist so verstörend unverständlich an Knabes Interpretation des Kalaf als einen von Ehrgeiz getrieben Jüngling, der als verstoßener Königssohn schlicht und einfach und um jeden Preis an die Macht kommen möchte, um sein Geschlecht in der Herrscherhierarchie weiterleben zu lassen? Daß er diese furchtbare „eisumgürtete“ Prinzessin nicht wirklich lieben kann


Drei Rätsel: Hoffnung, Blut, Turandot
und das Wort „Liebe“ natürlich im rüde gewalttätigen Finale zur leeren Worthülse degradiert wird, erscheint insbesondere unter politischen Aspekten verständlich. Das ist wahrlich keine Heirat aus Liebe; kann es kaum sein, denn es geht um zuviel. Soviel Realismus sollte sich eine Werkinterpretation schon gönnen lassen müssen; insofern ist Knabes Konzept im Großen und Ganzen nachvollziehbar, bei ernsthafter Textdurchleuchtung durchaus auf der Hand liegend.

Manchmal ist weniger mehr

Einzig zu kritisieren wäre, daß vielleicht etwas weniger mehr wäre, ohne den Sinn und die zeitkritische Deutung zu verwässern. Das permanente Pistolengefuchtel ist so nervig wie die lemurenhaften Zombies der ehemals Ermordeten, welche diese Inszenierung schon fast wie ein roter Faden durchziehen. Vielleicht sollte Knabe mit gelegentlich etwas mehr Valium im Blut inszenieren. Doch ist mir der plakative Heißsporn eines Jungregisseurs (Knabe erinnert mich immer mehr an den jungen Hilsdorf), der noch etwas zu sagen hat und spannend erzählen kann, erheblich lieber als die saturierten Psychoanalytiker, die uns allüberall die Oper zugähnen. Insgesamt gesehen ist diese Inszenierung durchaus gelungen.

Weniger gelungen ist (abgesehen von der wirklich enormen darstellerischen Prägnanz der Protagonisten) die stimmliche Ausbeute dieses Abends. Stellenweise halsbrecherischer Gesang ohne Bogen und Schönheit; mit Ausnahme vielleicht von Olga Mykytenko als „Liù“ und einem gelungenem „Nessun dorma“ von Dario Volonté.

Puccini vom Feinsten

Dafür bot Generalissimus Stefan Soltesz mit seinen Essener Philharmonikern wieder Puccini vom Feinsten. Damit meine ich nicht die allseits erwartete Süffigkeit und den larmoyanten Wohlklang à la Wiener Philharmoniker, sondern eher die feinsinnig intelligente Durchleuchtung einer Partitur im Sinne Gielens, die im letzten Werk eines großen Meisters eben schon viele moderne Ansätze versteckt hält, welche die Musik des 20.Jahrhunderts einläutet und die bisher meist entweder im Klangrausch unterdrückt, oder gar nicht beachtet wurden. Für mich ein zeitgenössischer Meilenstein in der musikalischen Turandot-Interpretation. Grandios auch Opern-, Extra- und Kinderchor unter Alexander Eberle.

Darüber hinaus zeigt Stefan Soltesz noch ein gerüttelt Maß an Selbstironie, nicht nur wenn er als autoritärer Theaterherrscher verkündet, daß er hier das Sagen habe, sondern auch im geradezu übertrieben süffisanten Schwelgen des großen Alfano-Schlusses – sozusagen losgelöst vom Gesamtkonzept, als schon fast elysisch zelebriertes Aphrodisiakum fürs (logischer Weise!) konfettiberegnete Publikum.


Dieser Text ist eine Übernahme mit freudlicher Genehmigung des "Opernfreund" - www.deropernfreund.de