Was schert es Käfer, ob sie passen?

„Das Buch als Magazin“: Nummer 1 umkrabbelt Kafkas „Verwandlung

von Martin Hagemeyer

Was schert es Käfer,
ob sie passen?
 
„Das Buch als Magazin“:
Nummer 1 umkrabbelt
Kafkas „Verwandlung
 
 
Ist er’s oder ist er’s nicht? „DIE VERWANDLUNG“ prangt es in großen Blockbuchstaben auf dem Cover des unbekannten Magazins – dort, wo bei Zeitschriften üblicherweise der Name steht. Wobei der bestimmte Artikel sich optisch zurücknimmt und in kleinerer Schrift zentriert über dem Hauptwort gesetzt ist. Kafka? Das typische Magazin-Layout läßt zweifeln. Der dick bebrillte Bursche auf dem Titelfoto sieht zwar schon irgendwie verpeilt aus – mit Gregor Samsa und seiner berühmten Geschichte eines aus der Welt Gefallenen scheint das aber auch die einzige Gemeinsamkeit.
 
Des Rätsels Lösung: Es handelt sich in der Tat um Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ – dies aber in der ersten Ausgabe der Reihe „Das Buch als Magazin“. Winzig in der Kopfzeile vermerkt ist der Name dieses neuen Formats im ebenso neuen Malus Verlag, dem man trotz des Preises (12 Euro, dafür bislang anzeigenfrei) viele Leser wünschen möchte. Das Programm auch für die künftigen Ausgaben soll sein: Im ersten Teil des Heftes ist ein Klassiker der Literaturgeschichte abgedruckt – im Wortlaut und in voller Länge. Der zweite Teil besteht aus neuen Texten. Sind das nun Kommentare? Deutungen? Rezensionen? Die Herausgeber, Joanna Swistowski und Peter Wagner, bezeichnen sie bewußt unbestimmt mit dem journalistischen Allzweckwort „Geschichten“.
Das ist fast noch zu konkret. So richtig passen würde für die neun Beiträge um Gregor Samsa, der eines Morgens als Insekt aufwacht, als Oberbegriff eigentlich nur: Alles mögliche.
 
Da ist zum Beispiel von einem Experten für hollywoodtaugliche Kriechtiere zu lesen, der die Moskitos für den Film „Jurassic Park“ witzigerweise ebenso ausgewählt hat (man möchte fast sagen: gecastet) wie die Spinne, die einst Peter Parker biß und so zu „Spiderman“ machte. Statt etwa zoologische Informationen zu geben, konzentriert dieser Mann sich in dem (übrigens englischsprachigen) Artikel allerdings auf eher psychologische Fragen: „[…] the only way an insect could possibly show character is when we humans project our own values upon them.“ Mit ihm gesprochen hat der Schriftsteller Joey Goebel, und auch das ist ein Anknüpfungspunkt zur „Verwandlung“: Mit seinem Bucherfolg „Vincent“ (Originaltitel: „Torture The Artist“) hatte er 2004 selbst über einen leidenden Künstler geschrieben – für die Interpretation von Kafkas Text ist das bekanntlich ein wichtiger Ansatz.
 
Die anderen Beiträge im „Buch als Magazin“ aber sind längst nicht so schön naheliegend. Gekrabbelt wird ansonsten zwar viel im Layout: Quer durchs Heft finden sich stecknadelgroße Käferchen – um das Ende eines Artikels zu markieren. Oft auch einfach nur so. Aber was schert es auch Käfer, ob sie passen? Was die Themen der weiteren „Geschichten“ betrifft, so gibt es einen Aufsatz „Über das schwierige Verhältnis von Vater und Sohn auf einem Bauernhof“ oder den persönlichen Schicksalsbericht einer Lifestyle-Redakteurin, die nach dem Tod ihrer Mutter psychisch krank wird und sich in der Wohnung von der Außenwelt abschottet. Das ist erschütternd, pointiert und lesenswert – und mit seiner Thematik um existenzielle Familienkonflikte dann ja doch plausibel als Beitrag, um Kafkas Referenzwerk zu beleuchten. Beim Bericht von Peter Hergersberg allerdings über seine seltsame Angewohnheit, zu seinen regelmäßigen Wandertouren im Rucksack eine Geige durchs Hochgebirge zu tragen: Da ist man als Leser hingegen dankbar für die sparsame redaktionelle Lesehilfe in Gestalt des Hinweises „Fremdkörper“, um diesen Text nicht ratlos als einen ebensolchen dastehen zu sehen im weiten Feld des Kafka-Kontexts. Und bei der ebenfalls abgedruckten Fotostrecke von Zucchini-Granaten und Gewürzgurken mit umgeschnallten Sprengstoffgürteln hört’s ganz auf mit jeder Chance, im „Buch als Magazin“ noch eine ausgewogene Klassiker-Exegese zu finden.
 
Klärung muß her: „Das Buch als Magazin“ will überhaupt keine ausgewogene Klassiker-Exegese.
Aber davon gibt es ja auch schon genug.
 
Sollte also jemand das Heft oder spätere Ausgaben in der Absicht zur Hand nehmen, einen poppig aufbereiteten Zugang zum germanistischen Forschungsstand zu erhalten (was ja durchaus auch nett wäre), dann wird er möglicherweise nicht glücklich. Die Artikel ähneln im Grundsatz vielleicht eher dem Verständnis von „Interpretation“ im modernen Theaterwesen: Einzelne Aspekte eines Klassikers werden, mehr oder weniger beliebig, zum Anlaß, eigene Werke (oder auch Machwerke) zu fabrizieren. Und mit „Geschichten“ wie besagten Fotos zur „Unterschätzten Gefährlichkeit von Gemüse und Obst“ fehlt im Heft auch der anarchische Theaterscherz nicht, in den die Macher einer Schauspiel-Inszenierung sich ja manchmal regelrecht verlieben.
 
So eingeordnet möchte man aber sagen: Eigenwillig und hochspannend, die neue Reihe „Das Buch als Magazin“. Und geziemend unausgewogen – aber das Ganze heißt ja auch nicht „Reclam in Großformat“ oder „Das Buch zum Käfer“.
 
 
P.S. In der zweiten Ausgabe wird übrigens schon der Klassiker theatral: Da soll es voraussichtlich (Aktuelles immer online: www.dasbuchalsmagazin.de) um Georg Büchners Stück „Woyzeck“ gehen.