Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher…

Iphigenie auf Tauris in einer Inszenierung des Westfälischen Landestheaters

von Frank Becker

Tantals Fluch
oder
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher…
 
Iphigenie auf Tauris in einer Inszenierung des
Westfälischen Landestheaters
 
 
Johann Wolfgang von Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ aus dem Jahr 1786 ist ein Muster der Suche nach moralischen Grundfesten auf dem Boden der Griechenlandsehnsucht der Weimarer Klassik. Festgemacht an der Gestalt der Iphigenie, Tochter des Agamemnon und Schwester von Orest und Elektra, wird der Konflikt zwischen göttlichem Gebot, irdischer Moral und menschlicher Loyalität exemplarisch dargestellt. Es allerdings 2013 zum Gegenstand des Zentralabiturs in Nordrhein-Westfalen zu machen, erscheint, mit Verlaub, wenn nicht ungewollt ironisch, so doch der aktuell mangelnden Moral der Urmutter von Demokratie und Philosophie wegen äußerst gewagt.
 
Das Land der Griechen mit der Seele suchend.
 
Einer aufgeklärten Jugend heute zudem diesen Stoff, zumal in der Goetheschen Versform wie jüngst in Remscheid vorzusetzen, geht weit am Anspruch einer Generation vorbei, die eine deutliche Ansprache braucht und zu Recht einfordert. Allein die trotz eindeutig versöhnlicher humanistischer Botschaft mythologisch verbrämte anachronistische „Story“ eines Dramas mit Göttern, Halbgöttern, Menschen und archaischen Ritualen kann man - abgesehen von diversen, jedem Poesie-Album Ehre antuenden klassischen Zitaten („Du sprichst ein großes Wort gelassen aus“, „Ein unnütz Leben ist ein früher Tod“, „Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt“ – über den Köpfen eingeblendet) – weder in der ursprünglichen Form, noch in einer Inszenierung wie der des Westfälischen Landestheaters heute noch jungen Leuten anbieten. Die Schicksals- und Moralfragen, die Goethe seiner Iphigenie mitgibt, sind zwar essentiell, am Beispiel von Menschenopfer, Brudermord und Königs- bzw. Göttertreue aber heute nicht mehr zu vermitteln.
 
Kein Mensch muß das Unmögliche erzwingen wollen.
 
Goethe hätte – man hört schon die Rufe: „Sakrileg!“ – eine Modernisierung dringend nötig, wenigstens, wenn man die Jugend erreichen will. Ralf Ebeling ist das mit seiner Inszenierung trotz dramatischer Kürzung und modern-karger Bühne/Ausstattung von Jeremias Vondrlink nicht gelungen. Nicht nur auf viele der ca. 550 Schüler im Saal des Remscheider Teo Otto Theaters wirkten Arkas´ (Bülent Özdil) Kampfanzug, Orests (Roni Merza) und Pylades´ (Guido Thurk) orange-neonfarbene Schwimmwesten, ein Schnellfeuergewehr in altgriechischer Hand und der Spielort eines auf Ölfässern schwimmenden Pontons mit einer vergoldeten Artemis/Diana auf einer Ölfässer-Säule als Objekt der Begierde schlicht grotesk. Gelegentliche amüsierte Lacher sind da nur zu verständlich. Ein stammelnd taumelnder Orest und die zu scharf artikulierende Iphigenie (Sophie Schmidt) taten ein Übriges. Der Ernst der Sache geriet durch solchen Schnickschnack in Schieflage. Einzig Johann Schibli als zwischen Liebe und Tradition zerrissener König Thoas konnte moderat überzeugen. 
Das aufmerksam folgende junge Publikum spendete der Mühe anerkennenden Applaus.
 
 
Weitere Informationen:  http://westfaelisches-landestheater.de/