Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Dorothee
und andere, denen man
dankbar sein kann

3. Januar: Verzauberte Wesen: Manchmal trifft man verzauberte Wesen. Kleine unscheinbare Menschen mit einem großen Geheimnis. Manchmal trifft man Wunderwichte, die ihre Blicke kurz auf uns werfen und uns erstrahlen lassen. Verzauberte Wesen, die ihren Kampf gegen die Dunkelheit gewonnen haben. Träumer, die, glücklich in ihren Wünschen, für Kurzweil sorgen. Zeige ihnen  Respekt, lache sie nicht aus, schicke ihnen ein warmes Gefühl und hilf ihnen, wenn sie Hilfe brauchen. Sie spenden für uns das Licht in dunkler Jahreszeit.
 
4. Januar: Wie gesagt, es ist der Wunsch von Dorothee gewesen, und wir haben nur mitgemacht, um ihr einen Gefallen zu tun. Das Kleid, das ich heute trage, gehörte übrigens mal Dorothee. Schön, oder? Sie hat gesagt, daß ihr die Kleider eh nicht mehr passen würden. Sie hat gesagt, wir würden ihr alle einen Gefallen tun, wenn wir ihren Kleiderschrank plündern würden. Ich weiß nicht, ob sie den Begriff „swappen“ kennen? Swappen statt shoppen? Ich sag lieber Kleidertauschparty und „tauschen statt kaufen“, aber es läuft auf das Gleiche hinaus. Die Schuhe, die ich trage, sind übrigens auch von Dorothee, hat sie mir sogar geschenkt, weil ich auch ihren Wintermantel genommen habe. Dorothee hat ihren Kleiderabend sogar „Was meins ist, ist deins“ genannt, damit alle keine Scheu hatten, sich über ihre Sachen herzumachen. Sie wollte nämlich nicht tauschen, sondern loswerden. Sie hat gesagt, es täte ihr gut, sich von den Dingen zu trennen. Die Kette, die ich umhabe, ich auch von Dorothee. Ich finde zwar, daß sie Dorothee besser stand als mir, aber sie wollte unbedingt, daß ich sie nehme. Naja, wie gesagt, es war Doros Idee gewesen, aber als wir dann alle in dem Raum standen, wo sie ihre Kleider ausgestellt hatte, da wurde uns doch anders. Da ist sogar ihr Kleid gewesen, das sie zur ihrer Hochzeit getragen hatte. Das trägt nun übrigens Sonja, wenn sie in die Oper geht. Dorothee hat gesagt, das müßt ihr für mich machen, nehmt soviel ihr tragen könnt und laßt mich einfach los. Nun ja, es war ja auch eine Tauschparty. Und was soll ich ihnen sagen. Manchmal denke ich plötzlich, dass dort Dorothee um die Ecke geht, und dann ist es doch unsere Freundin Bärbel, die sich für Dorothees rotes Sommerkleid entschieden hatte.
 
7. Januar: Ein Pudding muß einem entgegenkommen. Wenn der Pudding nicht schmeckt, wird das ganze Essen in Frage gestellt. Er ist das Nachspiel, das den Abschied einleitet. Man ißt ihn mit Dankbarkeit und in Erwartung neuer Freuden.
 
10. Januar: Heute traf ich eine Kuh, die Herr Borstmeier hätte sein können. Ich dachte sofort, als ich die schwarze Kuh sah, das ist doch bestimmt der verzauberte Herr Borstmeier.



© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter