Meursault auf der Bühne

„Der Fremde“ von Albert Camus im Théâtre Espace Paris

von Anne-Kathrin Reif

Im Théâtre Espace in Paris steht “Der Fremde”
auf dem Spielplan. Foto © akr
Meursault auf der Bühne
 
Von Anne-Kathrin Reif
 
Dieser Eintrag hier gehört in die Rubrik verpaßte Gelegenheiten”. Auf meinem Paris-Spaziergang durch das Marais entdeckte ich dieses Plakat mit der Theaterankündigung einer Bühnenadaption von Camus´ Roman „Der Fremde“ im Théâtre Espace. Die nächste Vorstellung fand aber leider einen Tag nach meiner Abreise statt. Falls sich in Kürze noch jemand auf die Spuren von Camus in Paris begeben will: Bis zum 15. Februar steht das Stück noch sechs Mal auf dem Spielplan. Ansonsten bleibt nur ein recht vielversprechender kleiner Eindruck auf diesem  Videoausschnitt.

Verpaßte Gelegenheit Nr. 2: Die deutsche Bühnenfassung von L´Étranger in der Regie von Sebastian Baumgarten, die im Berliner Maxim Gorki Theater in der Saison 2009/2010 gespielt wurde. Und auch in die Inszenierung von Jette Steckel im Thalia Theater Hamburg werde ich es wohl nicht schaffen. Vorstellungen sind nur noch am 16. und 18. Januar. Vom Camus-Jahr 2013 ließ man sich dort bei der Programmplanung offenbar nicht beeindrucken. Aber auch das kleine Euro Theater Bonn hat den Fremden im Programm: am 26. Januar und am 12. Februar. Am 27. Januar und 13. Februar gibt man dort überdies das Camus-Stück „Die Gerechten“. Die weitere Programmplanung steht offenbar noch nicht fest, vielleicht bemerkt ja die dortige Intendanz noch rechtzeitig, daß das Camus-Jahr gerade erst angefangen hat.

Soeben entdeckt: Nicht nur das Théâtre Espace in Paris/Marais zeigt eine Bühnenadaption von "Der

Im Théâtre Le Glichet Montparnasse wird
"Der Fremde" noch bis April gespielt.
Fremde", sondern auch das Théâtre Le Glichet Montparnasse. Regisseur und Darsteller bei dieser Aufführung ist Nordine Marouf, mit seiner Compagnie Les Molières ansässig in Angers, einer Stadt im Département Maine-et-Loire, bei deren Theaterfestival Camus seinerzeit verschiedentlich (nicht nur eigene) Stücke inszeniert hat. Heute ist dort immerhin ein Boulevard nach Albert Camus benannt. Vorstellungen von Der Fremde sind jeden Donnerstag und Freitag um 19 Uhr, bis zum 12. April. Also noch gute Chancen für Paris-Besucher, das Stück zu sehen. Französisch zumindest zu verstehen, ist natürlich von Vorteil. Im Falle von Der Fremde ist das aber nicht gar so schwierig, bedient sich Camus doch hier ganz bewusst einer sehr schlichten Sprache, wie sie dem einfachen Büroangstellten Meursault, der nach eigenen Worten nicht (mehr) viel nachdenkt, entspricht. Umso mehr gibt er dem Leser nachzudenken.
Eine meiner Lieblingsstellen ist die Szene, in der der Untersuchungsrichter Meursault fragt, ob er an Gott glaube: „Ich verneinte. Empört setzte er sich. Er sagte, das sei unmöglich, alle Menschen glaubten an Gott, auch die, die sich von ihm abwandten. Das sei seine Überzeugung, und müsste er jemals daran zweifeln, dann hätte sein Leben keinen Sinn mehr. „Wollen Sie“, schrie er, „daß mein Leben keinen Sinn hat?“ Meiner Meinung nach ging mich das nichts an, und das sagte ich ihm auch.“ (1). Soviel zum Nachdenken für heute.  
 
(1) Albert Camus, “Der Fremde”.  Deutsche Übersetzung von Georg Goyert und Hans Georg
 

 
© 2013 Anne-Kathrin Reif - Übernahme aus „365 Tage Camus" mit freundlicher Erlaubnis