Ans Fenster schlägt ein unerschöpfter Regen

von Gottfried Keller

Foto © Frank Becker
 
Ans Fenster schlägt ein unerschöpfter Regen
 
Ans Fenster schlägt ein unerschöpfter Regen,
Her rauscht die Mitternacht auf feuchten Schwingen,
Und mit dem Dunkel muß das Lämplein ringen –
Wie bin ich müd, ich will zu Bett mich legen!
 
Was sinn ich noch zu meinem Abendsegen? –
In meinem Ohre summt ein leises Klingen
Und widerhallet ein verschollnes Singen:
Mein denket einer auf entfernten Wegen.
 
Bist du's, o Freund? Auch ich gedenke dein!
Sei mir gegrüßt im unsichtbaren Raume
Nach Jahren voll Vergessenheit und Leiden!
 
Bei unsrer Jugend bleichem Sternenschein
Sehn wir uns flüchtig fragend an im Traume,
Um wieder lang, auf immer wohl zu scheiden.
 
 
Gottfried Keller