Es muß nicht immer "Pique Dame" sein

Peter Tschaikowskys „Iolanta" mit Anna Netrebko

von Peter Bilsing
Iolanta
 
Es muß nicht immer "Pique Dame" sein
Anna Netrebko in Tschaikowskys vergessener Oper
 


Anna Netrebko - Foto © Pro Arte Konzerte
 
Oper konzertant in der Essener Philharmonie am 27.11.2012
 
Die Oper Iolanta" gehört zu den wirklich recht selten gespielten Opern im Repertoire außerhalb Rußlands - das ist sehr schade. Daher ist es ein großer Verdienst, auch wenn man das Wort durchaus vielschichtig auslegen kann, wenn die „Primadonna Assoluta“ des 21. Jahrhunderts, Anna Netrebko, sich hier als quasi Werkentdeckerin und Förderin einbringt.
Es gibt ja, nun mal leider, nur wenige ganz große Stars, die den Mut, die Verantwortung und Größe besitzen sich für Raritäten im Opernsektor einzusetzen; La Bartoli oder der große Placido Domingo gehören zu dieser seltenen Spezies von Stars. Dabei können gerade sie - wer sonst? - vergessenen Werken zum Durchbruch verhelfen. Sie können das leisten, was eben das Gros unsere willfährigen Immer-das-Gleich-auftischenden-Opernintendanten (Ausnahme Frankfurt!) nicht schaffen, nämlich quasi verschollene (oder ignorierte) schöne Opern einen großen Publikum ans Herz zu legen. Wenn dabei noch eine Schallplatten-Aufnahme herauskommt, dann ist das einfach toll, denn mit "Iolanten" ist der Silberscheibenmarkt nicht gerade gesegnet. Freuen Sie sich darauf! Bis dahin müssen Sie mit der ebenfalls fabelhaften Vishnewskaya-Aufnahme begnügen.
 
Leider wurde auch in der Essener Philharmonie dieser wunderbare Schluß der 7. Szene (wie hier in der 2007-er Aufnahme mit Netrebko & dem grandiosen Villazon ebenfalls hörbar!
- bitte alle Nicht-Iolanta-Kenner hier unbedingt kurz hereinhören) gnadenlos und musikzerstörend von einem ignoranten Fan-Publikum, mitten in die Noten hinein jubelnd rücksichtslos (!) zerklatscht. Dabei ist dieser fabelhafte Schluß einer der schönsten und wunderbarsten, die je komponiert wurden. Schrecklich! Warum können sich sensible Opernfreunde (oder gibt es die nicht mehr?) eigentlich nicht bis zum letzten Takt, der auch hier von einem großartigen Orchester (Orchester der Slowenischen Nationalphilharmonie - Leitung: Emmanuel Villaume) gespielten Musik, zurückhalten? Oder ist gerade das eben der Charakter solcher Event-Veranstaltungen? Traurig ist das - sehr traurig.
Wobei, wenn es nach mir ginge, das herrliche Werk durchaus an dieser Stelle zu Ende gehen könnte, denn was in den Schluß-Szenen 8-10 noch folgt ist schon ziemliche Krawall-Musik (halt typischer Sinfonie-Tschaikowsky, wie wir ihn aus den diversen Orchesterstücken oder den letzten Sinfonien kennen) und so endet die Oper, ähnlich dem Turandot-Finale in der großen Alfano-Fassung, doch mit einem ziemlichen Getöse von Fortissimo-Wettkampf zwischen Chor, Orchester und Sänger-Ensemble. Dennoch spricht das nicht gegen diese Oper, die (wie jene ebenfalls tolle Tschaikowsky Rarität „Mazeppa“, die gerade in Krefeld in einer fabelhaften Produktion zu sehen ist!) in das Stamm-Opernrepertoire jedes größeren Hauses - auch ohne Netrebko - einfach hinein gehört. Darüber hinaus ist das Werk mit gut 100 Minuten ohne Pause ausgesprochen publikumsgenehm zu rezipieren. Nur Mut, oh ihr Opernintendanten in nahen und fernen Landen! Es lohnt sich. Macht doch Eurem Publikum einfach mal eine Freude mit dieser schönen Oper statt des immergleichen Flötenzaubers, der 599. Cosi oder den endlosen vorweihnachtlichen Hänseleien - das ist durchaus eine schöne Märchenoper, auch für Kinder!
Vergessen wir nicht die Comprimarii, die sich allesamt in dieses hochkünstlerische Gesamtkonzept gesanglich sich perfekt integriert haben: Sergey Skorokhodov, Graf Vaudémont - Alexei Markov, Robert - Vitalij Kowaljow, René - Luka Debevec Mayer, Bertrand - Lucas Meachem, Ibn-Hakia - Jun Ho You, Alméric - Monika Bohinec, Marta & Nuska Rojko, Laura - sowie Theresa Plut, Brigitta; nicht zu vergessen der hervorragende Slowenische Kammerchor.
 
Nun geht diese Netrebko-Tour (Ljubljana bis Wien mit Zwischenstationen in sechs deutschen Städten sowie in Amsterdam und Prag) mit dieser anläßlich der Salzburger Festspiele 2011 schon gestartete Opernproduktion auf weitere Reise, wobei die Essener sich glücklich schätzen konnten, denn die teuersten Karten kosteten heuer „nur“ 239 Euro - in Baden-Baden ist der gleiche Spaß gut doppelt so teuer, was sich, wenn ich die Salzburger Preise so Revue passieren lasse, immer noch als quasi „lohnendes“ Sonderangebot bezeichnen würde. Also ergeht mein Schlußapell an alle Opernfreunde (frei nach Heinz Erhardt):
„Auf, auf... und auf! Laßt uns zusammen 2013 nach Hamburg (15.1.12) oder Baden-Baden (17. / 20. /23. / 26. Mai 2012 reisen und dieser fabelhaften Oper in Idealbesetzung die wirklich verdiente Ehre erweisen!“
Vivat Anna! Vivat Iolanta! Vivat Tschaikowsky!

Redaktion: Frank Becker