Ein Kenner der Szene

Yassin Musharbash: "Radikal" - Lesung und Diskussion

von Jürgen Kasten

Yassin Musharbash - Foto © Jürgen Kasten
Ich lese keine Krimis...
 
Radikal
Yassin Musharbash
Lesung und Diskussion
in der Viertelbar
 
 
„Ich lese keine Kriminalromane“, sagte eine Zuhörerin dem Berliner Autor und Journalisten Yassin Musharbash. Eine Erklärung, warum sie dennoch zu der Lesung gekommen war, blieb sie schuldig, zeigte sich aber nun begeistert ob der gebotenen Vorstellung.
So erging es auch den anderen Zuhörern in der Viertelbar des Wuppertaler Luiesenviertels. Dort veranstaltet das katholische Bildungswerk, namentlich Dr. Katja Schettler, in schöner Regelmäßigkeit Lesungen mit Autoren, die sich politisch positionieren, vorzugsweise Migrationshintergrund haben und wie in diesem Fall, Kenner des arabischen Raumes sind.
 
Yassin Musharbash, 1975 geboren, hat einen jordanischstämmigen Vater und eine deutsche Mutter. Er studierte Arabistik und Politologie, arbeitete als Journalist für verschiedene Zeitungen, derzeit für „Die Zeit“ und stellte seinen Politthriller „Radikal“ vor. In der Fachwelt gilt er als Terrorismusexperte. Mit diesem Wissen schrieb er einen Roman über den Islam in Deutschland oder vielmehr über dessen Auswüchse und Anfeindungen. Er selber ist übrigens gar kein Moslem, kennt den Koran aber in- und auswendig.
Sein Romanprotagonist Lutfi Latif, Bundestagsabgeordneter und Grünen-Politiker, und dessen

Yassin Musharbash Daniela Milutin - Foto © Jürgen Kasten
Assistenten Sumaya und Samuel Sonntag sehen sich ständiger Islamfeindlichkeit ausgesetzt und werden bedroht. Während einer Diskussion im live übertragenden Frühstücksfernsehen, wird Lutfi und viele andere mit ihm, in den Tod gesprengt. Al-Qaida bekennt sich zu der Bluttat, die deutsche Politik gerät in Aufruhr, die Stimmung im Land verschärft sich.
Augenzeugin war die Journalistin Merle Schwalb. Sie und Lutfis Assistenten ermitteln auf eigene Faust, und es stellt sich heraus, daß der Hintergrund des Attentats vielschichtiger und komplizierter ist, als angenommen. Samuel Sonntag schleust sich in eine konspirative Gruppe namens „Karl Martell“ ein. Islamhasser sind dort vereint, die sich offensichtlich nicht darauf beschränken, Drohbriefe zu schreiben oder Schweineblut vor Moscheen auszukippen. Islamisten, denen der Vorzeigemuslim Lutfi zu integrativ war, mischen mit und natürlich die unvermeidlichen Nazis, die alle Ausländer am liebsten aus Deutschland jagen würden, auch wenn die inzwischen längst beheimatete Deutsche sind.
 
Yassin Musharbash kennt alle diese Gruppen. Er ist selbst Ziel solcher Anfeindungen. Er, der deutsch erzogen wurde und mit dem der Vater nur deutsch sprach. Nur weil er als kleines Kind teilweise bei seiner Großmutter lebte, konnte er sich auf Arabisch verständigen. Später war er des öfteren in Jordanien zu Besuch und ärgerte sich, daß er nicht einmal lesen konnte, was über den Ladentüren geschrieben stand. Er studierte deshalb Arabistik, er hat viele Freunde in Arabien, er schrieb während des Studiums für Zeitungen.
Als in New York die Twin Towers zusammenbrachen, befand er sich in Griechenland im Urlaub, sah die Fernsehberichte, verstand nichts, vernahm aber, daß die Palästinenser beschuldigt wurden. Die Angst packte ihn, denn viele seiner Freunde würden nun im Bombenhagel der Amerikaner sterben, dachte er. Noch am gleichen Tag rief die „TAZ“ an. Die brauchten jemanden, der sich intensiv mit den Hintergründen des Attentats und dem Terrorismus beschäftigt und der sich in Arabien auskennt.
Musharbash wurde Experte. Heute hat er weitreichende Kontakte, spricht mit Regierungsmitgliedern, BND und BKA, seine Meinung ist gefragt und gefragt hat am Abend der Lesung auch immer wieder

Yassin Musharbash Daniela Milutin - Foto © Jürgen Kasten
(sehr engagiert und kenntnisreich) Daniela Milutin, WDR-Moderatorin. Sie führte durch den Abend und ließ Musharbash zur Höchstform auflaufen. Pointiert las er seinen Text, erzählte immer wieder aus seinem Leben und schilderte die Ambivalenz, die er seine Protagonisten durchleben ließ: Was bin ich eigentlich, wer bin ich? Deutscher bzw. Deutsche, keine Frage; aber ich kann es nicht leugnen, ich bin auch gleichzeitig der oder die Araberin, zum Beispiel Sumaya al-Shami, die Assistentin des ermordeten Abgeordneten.
Daß es dem Autor ähnlich geht, vermittelte er überzeugend.
Aus dem Roman las er einige Abschnitte mit den Drohbriefen, die seine Protagonisten erhielten. Musharbash erhielt und erhält ständig ähnliche. Mit einigen anderen Betroffen tat er sich zusammen und veranstaltet Unterhaltungsabende, bei denen er im Stile eines Poetry Slam Haßbriefe verliest und die Zuschauer abstimmen läßt, welcher der beschissenste ist.
Auf die Frage, ob der Roman nicht soviel Potential enthalte, daß daraus weiteres entstehen könne, antwortete Musharbash ja, es gebe eine Filmoption und im Berliner Maxim Gorki Theater werden derzeit Romanszenen auf die Bühne gebracht.
Ein bemerkenswerter Abend. Ich wünsche Frau Schettler weiterhin eine so glückliche Hand bei der Auswahl ihrer Autoren – Glückwunsch.
 
Der Roman „Radikal“ von Yassin Musharbash ist 2012 bei Kiepenheuer und Witsch erschienen, Paperback  - ISBN: 978-3-462-0444-5, 400 Seiten, € 8,99
 
Weitere Informationen: www.erzbistum-koeln.de/bildungswerk/Wuppertal/  -  www.kiwi-verlag.de und www.taz.de/

Redaktion: Frank Becker