Hosenkauf

von Karl Otto Mühl
Hosenkauf
 
Dies war heute ein Tag der sehr kleinen Abenteuer. Ich fuhr in die City, um Einkäufe zu erledigen und begann mit einem Morgenkaffee, stehend natürlich, in einer Bäckerei. Am Nebentisch berichtete eine Frau, wie sie sich um zwei marokkanische Kinder aus der Nachbarschaft gekümmert habe, mit ihnen gespielt hatte und sie auf deren neugierigen Wunsch mit in ihre Wohnung nahm, um ihre Schätze an Bildern zu zeigen.
Beim Zuhören merkte ich, daß sie ihre eigene Saga erzählte, gespickt mit „Ich kenne das nicht anders“, „Ich kann das nicht ab“, „Das ist für mich selbstverständlich“ und „Ich kann dann nicht anders“.
Warum machst du dich heimlich über sie lustig, fragte ich mich. Wir alle stellen uns dar und wollen wahrgenommen werden. Das erwarten wir als Zinsen unserer Taten. Ich glaube aber, bei ihr sollten die Zinsen das Kapital ersetzen.
Und doch rührte mich ihr forschender und um Nachsicht bittender Blick, den sie in die Runde sandte: „Tut mir nichts! Ich brauche das.“
 
Dann begab ich mich auf die Suche nach einem bescheidenen Uhrmacher. Sein Geschäft sollte nicht durch die fürstliche Pracht der Juweliere auffallen, bei denen sich kostbares Interieur und teure City-Miete in den Preisen ausdrücken. Er sollte mir ehrliche Auskunft geben, ob eine Armbanduhr reparaturbedürftig war, und ich fand den Mann durch einen irren Zufall in einer Seitenstraße. Er erwies sich als verläßlich, seine schwarzhaarigen Verkäuferinnen fragten mich, ob ich Kaffee haben wolle. Er berichtete mir auf Nachfrage, aus welchem Ort der Türkei er stammte – ich registrierte dieses angenehme Vorkommnis als Gunst freundlich gesonnener Mächte.
 
Und nun ging es um den Kauf einer Tuchhose. Alle, die ich anprobierte, paßten nicht. Von Hose zu Hose wurde ich erschöpfter. Mir fiel ein berühmter Freund ein, der das Hosenkaufen als Strafe bezeichnete. Er schwitze sogar dabei, bekomme einen roten Kopf und verlasse häufig unverrichteter Dinge den Laden. Ich habe damals dazu gemeint, eine noch schlimmere Strafe sei es für einen Schriftsteller, wenn er eine Weihnachtsgeschichte schreiben müsse.
Fast wie er verließ ich das Kaufhaus nach der vierten Hose. Ich hatte noch gewurstelt, um die anprobierten Hosen wieder an ihren Klemmbügeln zu befestigen, schaffte aber nur eine Notlösung. Draußen im Verkaufsraum, wo die Hosen zu Hunderten hingen, bemerkte ich dann, daß ich meine Hosen verkehrt herum festgeklammert hatte. Das war eine schlüssige Erklärung, änderte aber nichts an meiner Erschöpfung.
 
Ich glaube, man müßte so ein Buch schreiben – aber vielleicht existiert es ja irgendwo -, ein Buch über die geheimnisvollen Prozesse im Wirtschaftsleben. Politik und Wirtschaftsführer – und natürlich Banker – hopsen um sie herum und können bestenfalls kurzfristig Einfluß nehmen. Der Dämon Wirtschaft, befeuert durch seine Väter, Existenzkampf und Gier, grinst nur. Sie sind auch nur Figuren in seinem Spiel.
Einmal, im Halbschlaf, hatte ich die Lösung gefunden: Nur, was echten Tauschwert hat, soll gehandelt werden dürfen. Da ist die Produktion und die Dienstleistung, da ist der Verbrauch, und nur das kann Tauschwert haben. Wir pfeifen auf die Eurokrise. Dachte ich.
 
Aber tagsüber fiel mir ein, daß alle diese Dinge ja bewertet werden. Was tun, wenn sich die Bewertung ändert? Wenn keiner ein Haus in einem ausgewanderten Dorf kaufen will? Was tun mit einem Millionentanker, wenn keiner seine Güter will?
Wie etwas verleihen, wenn der Gegenwert schwindet?
Was tun, wenn nichts mehr einen Wert hat? Ich weiß es noch. Ich bin in die Dörfer gefahren und habe beim Bauern ein Trachtenkostüm und silberne Löffel gegen Kartoffeln getauscht.
 


© 2012 Karl Otto Mühl - Erstveröffentlichung in den Musenblättern
Redaktion: Frank Becker