Einkäufe

von Karl Otto Mühl
Einkäufe
 
Mit den meisten Menschen glaube ich gemeinsam zu haben, daß wir erst dann günstig eingekauft zu haben glauben, wenn wir viel weniger bezahlen als die anderen. Daß ein rechter Kaufmann auch noch an seinem besten Freund etwas verdienen möchte, lasse ich hier unerörtert, aber fremder Gewinnsucht etwas abzuknöpfen, ist schon in sich schön und verständlich. Wie gesagt, ich gebe zu, daß unser Sparwille da manchmal und teilweise seine Berechtigung hat. Viel stärker ist sicher der Wunsch beteiligt, es besser zu haben als andere. Aber so schrecklich vernünftig muß es auch nicht sein. Ich kenne Leute, die andauernd und überall billiger einkaufen, aber sie kaufen oft und geben ihr Geld schneller aus als ich. Sparen tun sie also nicht dabei.
 
Bei dieser Gelegenheit muß ich bekennen, daß ich die Leute beneide, die das, was sie brauchen, unbekümmert zum normalen Preis einkaufen, und sich weiter keine Gedanken machen. Sie haben Wichtigeres zu tun, haben meistens das Geld, das sie brauchen, und sind nicht aufs Kaufen versessen. Sie sind irgendwie nobler als ich, denke ich.
So sehr ich mich durch die Gier und die Schläue der Lieferanten gestört sehe, die Zeit ist gekommen, wo ich manchmal fürchte, zu viele der kleinen Handelsleute könnten bei dem unbarmherzigen Kampf um den Markt von den großen geschluckt werden (die dann die Preise hochziehen). Ich empfinde Mitleid mit den Kleinen und weiß, daß ich mich ohne die vielen kleinen munteren Geschäfte einsam fühlen werde. Geldgierig und schlau oder nicht, Menschlichkeit und Heiterkeit umströmten mich, als ich vor über vierzig Jahren, aus der DDR zurückkommend, wieder durch eine westdeutsche Geschäftsstraße ging. Wie schön fand ich es da, daß es Geschäfte und Kneipen gab. Diese und andere Gedanken flattern wie Vögel vor mir her durch die Straßen der City, durch die ich an diesem freien Vormittag gehe. Jedoch, ich trage eine Krankheit in mir, ich glaube unbeirrbar daran, daß mich fast alle Geschäftsleute betrügen. Sie rechnen zu ihrem Vorteil, wie denn sonst. Sie kalkulieren alles ein, Reibungsverluste, Lagerhaltung, Verzinsung, Wiederbeschaffungswert, und meine Heizungsfirma und der Schlüsseldienst nehmen an einem Feiertag das Dreifache - weg damit, das ist schon wieder diese Obsession bei mir! Immer fühlt sich der Mann, der ich bin, betrogen.
 
Im nächsten Geschäft tausche ich ein Paar Schuhe um. Sie sind von meinem kleinen Sohn, er muß sie eine Nummer größer haben. Der Filialleiter - es ist ein kleines Geschäft - hat mich gestern selbst bedient und mir die Umtauschmöglichkeit zugesichert. Er hat mich ehrerbietig behandelt und mir Wert verliehen. Ich hatte frei und großzügig mit ihm gesprochen, sozusagen mit entblößter Brust. Heute bringt er mir zwar das Umtauschpaar, aber er blickt mich nicht einmal an, kein Lächeln ziert sein Gesicht. Er redet dabei mit anderen. Nur flüchtig nimmt er sich Zeit, um mir Pflegemittel anzubieten. Ich will sie nicht. Daraufhin verliert er jedes Interesse an mir, er sieht mich nicht einmal gehen.
Während ich weitergehe, fliegen die vorhin noch so festlichen und fröhlichen Vögel niedriger. Ich fühle, ich habe an Wert verloren. So ist das mit dem Einkaufen.
Der Einkaufstag endet dennoch angenehm. Ich gerate an einen griechisch-italienischen Schuhmacher, der mir einen Ersatzschlüssel macht. Er ist älter und grauhaarig, er ist bedächtig und aufmerksam. Er schleift den Schlüssel mit liebevoller Gelassenheit und Präzision, prüft sogar die Maße eines anderen von mir mitgebrachten Ersatzschlüssels, der nicht funktioniert, findet auch den Fehler. Ich frage ihn aus und erfahre, daß sein Sohn Medizin studiert und seine Tochter Krankengymnastin wird. - Ist doch schön, wenn sich jemand hier wohl fühlt und es zu etwas bringt, denke ich. Ein Ausländer also. Und dann denke ich, was wohl aus ihm geworden wäre, wenn er hier bei uns als Kind eines Amtsdirektors auf die Welt gekommen wäre.
 
Der Tag wird noch besser. Ich trete in einen Elektroladen, um nach einem Adapter zu fragen, den ich nirgendwo in den großen Baumärkten finden konnte. Ein großes TV-Geschäft hatte etwas Ähnliches, aber ich war nicht sicher, ob das Ding geeignet war, und vor allem anderen hatte es den Nachteil, daß es konfektioniert neben vielen unter Cellophan verschweißten Kleinteilen an der Wand hing und 15,95 Euro
kostete. Auch so eine Halsabschneiderei, dieses Konfektionieren von manchmal nur ein paar Schrauben, das den zehnfachen Preis rechtfertigen soll, dachte der Kunde in mir. Und es war niemand zu sehen, den ich fragen konnte. Ich ging still aus dem Geschäft. Aber von einem kleinen Elektroladen hier in der Stadt hatte ich gehört, daß er alles hatte was andere nicht hatten.
Er hatte es. Er hatte auch einen Ladeninhaber, einen, freundlichen – ich sage mal sonnigen und herzerwärmenden, ebenfalls älteren Mann in Jeans und Pullover. „Ja, der wird dafür passen“, versicherte er mir, „und wenn nicht, tausche ich ihn natürlich um“. - „Er hat wirklich alles“, sagte eine Kundin neben mir, und dann wandte sie sich an den Inhaber und fragte: „Sie wollen mir die Lampe wirklich selber bringen?“ Aber sicher werde er das tun, sagte der Inhaber, „Ich bringe sie dann eben an der Decke an. Das ist zu schwierig für Sie“.
Ich war still geworden. Wenn mir jemand diese Geschichte erzählen würde, könnte ich sie ihm nicht glauben. Aber es gibt diesen Laden, und er ist in meiner Stadt. Und es gibt diesen grauhaarigen Mann. Er erkundigte sich, wo ich wohne und wie es mir dort gefalle.
Ich bin sicher, ihm lag etwas daran.



© Karl Otto Mühl - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007