Der Popel

(Wie peinlich ist das denn?)

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Der Popel
 
Wie peinlich ist das denn? Kennen sie das, wenn man nach einem menschenreichen Vormittag zu Hause ist und sich im Spiegel betrachtet? Sie haben ihren Chef getroffen, ihren Hautarzt, die Lehrerin ihres Sohnes, den Bürgermeister der Stadt und die Frau, die sie lieben, sich aber noch nicht trauen, ihr das zu beichten? Sie stehen also vor diesem Spiegel und entdecken dann in ihrem linken Nasenloch einen Popel. Nicht groß, aber doch deutlich und eklig. Wie peinlich ist das denn? Natürlich stellen sie sich gleich vor, welchen Eindruck dieses Auftreten bei ihrem Chef, ihren Hautarzt, die Lehrerin ihres Sohnes, den Bürgermeister der Stadt und die Frau, die sie lieben, sich aber noch nicht trauen, ihr das zu sagen, hinterlassen hat? Was haben sie verhandelt, erklärt, um Verständnis gebeten, gelobt und verehrt und manchmal auch nichts gesagt, aber alle haben nur auf diesen Popel, diesen Eye-Catcher, gestarrt. Wie peinlich. Vor allen Dingen, warum hat sie ihr Chef, ihr Hautarzt, die Lehrerin ihres Sohnes, der Bürgermeister der Stadt und die Frau, die sie lieben, sich aber noch nicht trauen, ihr das zu sagen, ….warum hat sie niemand auf diese Auffälligkeit hingewiesen? Einen Popel übersieht man nicht. Der Popel ist nicht beliebt. Die Gesellschaft hat sich darauf geeinigt, daß Popel nichts in der Öffentlichkeit zu suchen haben. Es gibt popelfreie Zonen. Wie peinlich. Haben nicht alle gedacht, diesem Mann vertraue ich nicht meine Firma an, kein Wunder, daß er Hautprobleme hat, bei so einem Auftreten muß sein Sohn Autoritäten mißtrauen, hoffentlich sind meine anderen Mitbürger optisch konsequenter, einen Mann, der so ablenken will, könnte ich nicht lieben? Zugegeben, wer mag schon den Überbringer schlechter Nachrichten, aber wie wäre ein kleiner Hinweis gewesen, wie: Mir macht das nichts aus, mir sind innere Werte wichtiger, aber du weißt doch wie dein Chef, dein Hausarzt und andere oberflächliche Naturen auf so etwas Ekliges abfahren? Alles in allem hinterläßt so eine Erscheinung viele Fragen. Es ging nur um einen kleinen Popel, aber die ganze Welt änderte sich durch sein anzügliches Auftreten. Ist es das wert?
 

© 2012 Erwin Grosche für die Musenblätter