Mertes und die chinesische Heilkunst

Chinesische Reflexionen

von Horst Wolf Müller

Foto © Frank Becker


Mertes und die fernöstliche
Heilkunst



Mertes (im Hintergrund, sehr leise, chinesische Musik):

Stechen  se nur, Herr Oberndorfer, stechen Sie mich ruhig wo Sie et für richtig halten. Die kleinen Nädelchen im Ohr, die han ich besonders gern, dat  is grad, wie wenn de Ameisen da am kribbele wären. Die lange Nadel, die Sie mir da immer in die Hand stoßen, die jeht doch bestimmt bis auf de Knochen, stimmt dat ? Ich han et im Gefühl.. Ja, wenn et sein muß, ne? Und es fließt nie ein Tröpfchen Blut, wie bei diesen Fakiren. Dat ist erstaunlich, dat der Minsch so viele Stellen hätt, wo kein Blut austritt, also auch keine Adern sind.  Ja, die Chine­sen, dat sind schon Tüftler. Die haben das lange Altertum gut genutzt und haben erumprobiert, bis sie diese Meridiane da ent­deckt hatten. Da haben die alten Germanen noch auf ihren Bärenfellen gedöst, da waren die Jungs da im Fernen Osten schon hellwach. Ja is et nit esu ? Der Osten hat uns viel zu sagen, auch heute noch, da bin ich fest überzeugt. Das Land des Lächelns, wie man so sagt. Mein Freund, der Tewes Karl, der meint ja, et wär kein Lächeln, sondern et hinge mit der Hautfaltung zusammen, die Gesichter da sind anders zugeschnitten, so dat et auf uns wirkt wie ein Lächeln, ist aber keins. Dat is wie bei den Leuten, bei denen die Oberlippe chronisch etwas hochgezogen wird, so daß der Mund meistens offen steht, wenn sie ihn nicht ausdrücklich zu­machen, und dann bleckt ein Mensch die Zähne, ohne es zu wollen. Aber dat dat Lachen eine Drohgebärde sein soll, dat glaub ich dem Tewes nit. Der hatt ja so Sprüche auf Lager, kennen Sie die?
„Im Jahr des Drachen zeig ich ein Lachen.“
„Im Jahr des Schweins gönn ich mir keins.“

Wenig zu lachen hatten ja  der Kaiser Pu Ji, haben Sie den Film gese­hen, Herr Oberndorfer? War der nicht beeindruckend? Eine Jugend in der verbotenen Stadt, mit all den Mandarinen und Sänftenträ­gern und den jugendlichen Eunuchen da, die ihn ab und zu durch einen Gazevorhang kitzeln durften und kosen, diese kaiserliche Askese, nit? Und dann mit zwei Damen verheiratet zu werden, wie soll man das bewerten? Verglichen mit einem orientalischen Harem ist das ja Sparprogramm, überhaupt ging et da und dort etwas spartanisch zu am chinesischen Hof, finden Sie nit ? Et is kein Sex Royal, wollen wir mal sagen. Und der Reiswein is kein Kir Royal. Ich han, wie ich kürzlich im Schanghai zum Essen war mit der Marika, ein Glas Pflaumenwein dazu bekommen, gratis.

Man muß dabei sagen, dat dat mein erster Besuch in dem Restau­rant war, und das Schanghai hatte grade erst geöffnet, lag etwas zugig in der Passage, nicht optimal plaziert, gaben sie dem Gast diesen Pflaumenwein im Probiergläschen und einen kleinen Buddha aus Porzellan, der sollte ihm Glück bringen und dat Geschäft beleben. Aber ich bin seitdem nit mehr dort gewesen.

Ja, dann kamen diese Unruhen auf dem Platz des himmlischen Friedens, da hatt ich etwas die Lust verloren. Die hatten ja die Freiheits­statue nachgebaut, erinnern Sie sich? Eine Art Mannweib, aber die in New York is kräftiger, die schaut aus wie eine Bodybuil­derin aus Texas. Et is bezeichnend, aber für die Chinesen kommt ja die Freiheit aus dem Osten, insofern stimmt dat Karussell wieder, aus dem Osten das Licht, mehr aber auch nicht. Auch ein Spruch vom Tewes.

Der Mao Tse-Tung is ja in China schon so gut wie vergessen. Die Schulkinder wissen nicht mehr, wer dat war, ob er vielleicht eine Sagenfigur war oder wirklich gelebt hat. Er hat ja im Alter mehr und mehr das Aussehen einer alten Frau angenommen. Er sah so ein bißchen dem Wolfgang Neuß ähnlich, erinnern Sie sich an den? Wie eine alte Indianerin, ungelogen. Durch Drogenkonsum hat der vermutlich die Hormone zerrüttet. Dieses Ying und Yang in Unord­nung verstoßen, ne? Ja, im Alter gibt et dat öfter. Alle Men­schen werden Schwestern, könnt man da sagen. Wo dein sanfter Flügel weilt. Das ewig Weibliche zieht uns hinan. Sagt Goethe. Dat behauptet auch der Reinhold Meßner. Der sagt, ohne seine Mutter hätte er keinen Achttausender geschafft, jedenfalls nicht ohne Sauerstoffmaske. Aber das Kosewort, dat der Mann für seine Mutter da erfunden hat, dat wollte er den Fernsehzuschauern nicht verraten. Ein schöner Zug, finden Sie nit ?

Wie, is  et schon wieder Zeit? Schade, ich war grade so schön am Schweben, losgelöst von dem Ying und Yang.
Ja, ich weiß, ganz entspannt im Hier und Jetzt heißt dat.
Kenn ich all, die Novizen da.
Ja, dann ziehen Sie die Nadeln mal wieder erus.
Aber, eine Viertelstunde is ja nix. Meine Frau hat die Locken­wickler vier, fünf Stunden drin.
Und heut Abend wird chinesisch ausgegangen.
Zur Nachkur.

© Horst Wolf Müller – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007