Selig sind die zu kurz Gekommenen

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek
Selig sind die zu kurz Gekommenen

Ich habe nun mal wirklich festgestellt,
daß ich eigentlich gar nichts bin,
ich will damit nicht sagen, daß ich ein Nichts bin,
aber die meisten Menschen sind doch heute was,
ich dagegen,
ich kann an mir herauf oder herunter gucken,
wie ich will,
ich hin nichts.
Sehen Sie mal,
ich bin kein Kegler, ich bin kein Ruderer, kein Segler,
ich bin kein Fotograf, ich sammle keine Schmetterlinge,
keine Bierdeckel, ich hab keinen Schrebergarten,
ich bin kein 3000 Meter Hindernisläufer,
ich kann kein Auto fahren, ich habe keine Briefmarkensammlung,
ist doch kein Leben, ist doch kein Leben, nicht,
ich habe keine Briefmarkensammlung,
ist doch kein Leben,
ich bin kein Taucher, ich bin kein Wandervogel,
ich bin nicht im Mandolinenclub,
ich mache keine Laubsägearbeiten,
auch nicht für andere übrigens,
von wegen Weihnachten und so,
ich habe kein Opernabonnement, ich spiele kein Skat,
ich gehe nicht auf die Jagd, ich bin kein Sonntagsmaler,
ich bin kein Reiter, ich bin kein Tonbandamateur,
kein Funker, kein Waldläufer, nichts von alledem,
ich bin weder Rodler noch Jodler,
liege nicht auf Luftmatratzen, fliege nicht Drachen,
ich stehe immer nur dumm rum und gucke zu.
Wenn ich mir, wie man das früher als Kind gemacht hat,
aus einer Zeitung eine Mütze basteln will,
um mich zu schützen vor dem Regen,
wird immer eine Schwalbe draus.
Es gibt ja welche,
die machen aus einem Kühlschrank ein Kinderbett
oder aus einer Türklinke ein Bügeleisen,
aber bei mir kommt immer eine Schwalbe raus.
Ich mein, ich geb nicht auf.
Vielleicht gelingt mir eines Tages doch irgendwas,
und wenn nicht:
Ach, man kann eben nicht alles haben, sein und können.
Ich bin eben zu kurz gekommen. Macht nichts!
Ich sage immer so:
Selig sind die zu kurz Gekommenen,
denn die tun einem nichts!
 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Wir sehen uns wieder" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung