Der Gebrauch der Gabeln

Zitiert

aus dem Sonntags-Blatt für Jedermann aus dem Volke 1865
Der Gebrauch von Gabeln wurde lange Zeit bei Tafel als überflüssig betrachtet, so groß auch in anderer Beziehung der gastronomische Luxus früherer Zeiten war. Ueberhaupt herrschten im Mittelalter eigenthümliche Tafelgebräuche. So hatte beispielsweise bei der Krönung der Königin Anna Bolena eine Dame den beneidenswerthen Platz zu den Füßen der Königin unter dem Tische, und dabei das Amt, der Letzteren ein Tuch vorzuhalten, wenn sie ausspeie, oder, wie es wörtlich heißt, „anderweit ihre Bequemlichkeit haben wollte.“ Die stolze „jungfräuliche Königin“ Elisabeth aß mit den Fingern, obwohl damals schon Gabeln bekannt waren; denn das Vorurtheil gegen dies Instrument war damals unter den höheren Klassen so groß, wie es in unserem Jahrhundert unter den niedern gegen das Maschinenwesen war. Ein Geistlicher predigte im Jahr 1612 gegen den Gebrauch der Gabeln, als einer „Schmähung gegen die Vorsehung, seine Nahrung mit den Fingern anzugreifen“. Noch vierzig Jahre später ersehen wir aus einer Schrift, die 1652 herauskam: „Der Gebrauch silberner Gabeln ist in der jüngsten Zeit von einigen Stutzern aufgebracht worden; er verpflanzte sich von Holland nach Italien und von dort nach England.“ Noch lange Zeit nach ihrer Einführung wurden sie als ein Zeichen der höchsten Stutzerhaftigkeit angesehen.
 

Aus dem Sonntags-Blatt für Jedermann aus dem Volke – vom 2. Mai 1869