Weltuntergang

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Weltuntergang
 
In diesem Jahr soll die Welt untergehen. Es gibt Voraussagen, die so seriös sind wie die Wiedergutmachungsbeteuerungen meiner Frau, wenn sie sich mit meinem Steuerberater vergnügt hat. Mein Steuerberater ist übrigens der einzige Mann der Welt, dessen Weltuntergangsszenarien ich ernst nehme. Machen wir uns nichts vor. Wir tragen das Ende in uns. Schon unsere Geburt ist nur der Anfang von allem. Manchmal erscheint das Ende der Welt so nah, daß Tausende sofort ihren Sommerurlaub stornieren. Ein ehemaliger Arbeitskollege hat in dieser Stimmung mal meinem Chef gesagt, daß er ihn für einen Rausschmeißer und Aufreißer halten würde. Wie gesagt, ein ehemaliger Arbeitskollege. Aber hatte er nicht Recht mit seiner Vorahnung? Das nächste Weltende beginnt sofort nach dem Nichteintreffen der letzten Weltuntergangsprognose. Weltuntergangstimmungen gehören zu uns, wie der Fußpilz (und sind auch genauso schwer zu bekämpfen). Auch ich ließ mich mal zu einer Endzeitstimmung hinreißen, als meine Frau mich mit einem neuen Linsengericht überraschen wollte und ich meinem Ende nur entging, indem ich es vollständig aufaß.
Immer und immer wieder wird das Ende der Welt ausgerufen, als hätten wir es nicht schon schwer genug die Zeit davor sinnvoll auszufüllen. Kürzlich machte ich einen Test. Mein Mozzarella im Kühlschrank hatte eine Lebenserwartung, die genau am 17. April um 14:07 enden würde. Der italienische Käse sollte genau an dem Tag und zu dieser Stunde seinen Geist aufgeben. Ich wartete also ab und versuchte die Zeichen der Zeit zu deuten. Der Käse sollte es gut haben. Ich ließ ihn im Kühlschrank stehen und wollte, daß er unter den besten Bedingungen sein Leben fristen konnte. Wir schrieben schon den 15. April. Das hieß, daß wir nicht mehr viel Zeit miteinander verbringen konnten. Wie kann man in drei Tagen jemanden sagen, daß man ihn vermissen wird, auch wenn er nur ein Käse ist? Ungeduldig wartete ich auf den 17. April. Würde dann der Mozzarella verderben wie ein pubertierender Messdiener? Die Spannung wuchs. Der Augenblick der Entscheidung kam. Trotz des drohenden Mozzarellaunterganges versuchte ich mein eigenes Leben in aller Demut und Fröhlichkeit zu verbringen. Man darf sich nicht hängen lassen. Das nützt keinem was. Dann war es soweit. Ich schnitt am 17. April, genau um 14:07 die Mozzarella-Verpackung auf und drückte das weiße Käse-Herz an mich. Wie rein und weiß es war. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Ich schnitt ihn behutsam in kleine Scheiben. Ich schaute auf die Uhr. Es war 14:10. Nach der Vorhersage der Weisen und Käsespezialisten mußte der Käse nun ungenießbar sein. Ich wartete noch ein wenig. Im Angesicht des Todes spielt die Zeit keine Rolle. Wenn die Welt untergegangen ist, braucht man auch keinen Rasen mehr zu mähen. Es war 15:05, draußen begann es zu regnen, als ich eine Mozzarellascheibe zu mir nahm….und sie mundete. Da verwandelte sich der Käse in Hoffnung. Der Mozzarella schmeckte so gut, als hätte ich ihn dem Teufel entrissen. Er mundete wie der Kuß einer italienischen Molkereimeisterin. Der Käse war dem Raunen des Untergangs nicht gefolgt. Bevor er verderben konnte, hatte er sich zu seinem Zweck erhoben und alles Unken abgestraft. So war er von mir aufgefuttert worden, mit Respekt und langsam. Ich hob den Kopf und schaute in die Welt. Natürlich wußte ich, daß auch die Welt untergehen wird. Sie wird uns verlassen, wie wir auch sie verlassen werden. Nach meinem Mozzarellaexperiment wußte ich aber, daß unser Untergang einen Sinn haben kann.
Streben wir nach Vollendung. Nutzen wir also unsere Zeit und finden wir unseren Platz. Die Welt ist ein unsicherer Ort. Achten wir ihre Zerbrechlichkeit. Genießen wir die Vorsicht.
 
 
 
© 2012 Erwin Grosche – Erstveröffentlichung in den Musenblättern