Erzählt und doch gezaubert

Roland Schimmelpfennig „Die vier Himmelsrichtungen“ beim Duisburger Theatertreffen

von Martin Hagemeyer
Erzählt und doch gezaubert
 
Roland Schimmelpfennigs Inszenierung sein Stücks
„Die vier Himmelsrichtungen“
Beim Duisburger Theatertreffen
 
Regie: Roland Schimmelpfennig - Bühne und Kostüme: Johannes Schütz – Musik: Satoshi Okamoto – Dramaturgie: Ulrich Beck – Licht: Robert Grauel.
Besetzung: Ein Mann: Ulrich Matthes – Eine junge Frau: Kathleen Morgeneyer – Ein kräftiger Mann: Andreas Döhler – Eine Frau: Almut Zilcher.
 
Wer geglaubt hatte, das große Wort vom postdramatischen Theater bedeute, daß in zeitgenössischen Stücken nicht mehr erzählt werde, sieht sich bei einem Stück wie „Die vier Himmelsrichtungen“ von Roland Schimmelpfennig eines Besseren belehrt. Denn Erzähler gibt es hier ganz entschieden – und zwar gleich vier. Beim Duisburger Theatertreffen war das Werk in der Berliner Inszenierung des Autors zu sehen.


v.l.: Matthes, Zilcher, Döhler, Morgeneyer - Foto © Armo Declair
 
Auch daß es „keine Handlung im üblichen Sinne“ sei, was die vier Schauspieler erzählen, wird man hier schwerlich behaupten können: Zwei Männer verlieben sich in dieselbe Frau, geraten aneinander, und schließlich tötet der eine den anderen. Zumindest was Bühnenhandlung betrifft: Üblicher geht’s kaum.
Ungewöhnlich macht ein Stück wie dieses wohl vielmehr gerade dieser Umstand: daß die Handlung erzählt wird, also weitgehend verbal vermittelt statt durch (Inter-) Aktion. So beginnt Andreas Döhler im getragenen Tonfall: „Es kam ein Mann aus dem Norden, der brachte Regen mit.“ Diesen Mann stellt er später zwar auch durchaus personal dar. Doch sein Leben und Sterben zur Sprache zu bringen: Das übernehmen im weiteren Verlauf ebenso Ulrich Matthes, Kathleen Morgeneyer und die einsame Wahrsagerin Almut Zilcher – als sogenannte „Sprechpositionen“. So konstruiert sich die Geschichte aus vier Mündern heraus, und, noch verwirrender: voller Wiederholungen und Zeitsprünge vor und zurück.
 
Das könnte trocken oder anstrengend sein für den Zuschauer. Stattdessen: Es ist spannend wie ein Krimi. Ein Versatzstück wie der „Frosch“ taucht immer wieder auf und findet seinen Platz erst allmählich: Scheinbar zufällig zunächst als eines der Tiere, die der Kleinkünstler mit den zwei Zungen aus Luftballons zurechtmodelliert. Dann als wir hören, daß der Mann aus dem Norden Frösche haßt, denn „ihr Körper ist voll von ihrer Zunge, und sie haben kein Gesicht.“ Schließlich: Der Mann kauft seinem Sohn einen Luftballonfrosch, und kurz darauf ist er tot.
 
Das soll an dieser Stelle zur Handlung reichen; Erzähler gibt es für sie ja genug. Aber zur mehrstimmigen Erzählweise kommt, und so ist es ja typisch für Roland Schimmelpfennig, auch in „Die vier Himmelsrichtungen“ ganz wesentlich ein inhaltliches Merkmal hinzu: Magie. Wenn man hört, wie eine junge Frau mit „vielen Locken“ unversehens zur „Frau mit Schlangenhaaren“ wird und man ihr wie der antiken Medusa den Kopf abschlägt; wenn dieser mythische Schwenk dann makaber-komisch wieder ins Rationale gewendet wird, ohne damit aber wirklich weniger zu verunsichern („Sie hatte Kopfschmerzen. Immer“): Dann setzt sich das Bild dieser Handlung eigentlich nicht mehr nur im Stil eines – so der Autor – „Mosaiks“ zusammen (dessen Domäne bekanntlich die Fläche ist, nicht der Raum). Vielmehr möchte man es fast „3D-Puzzle“ nennen, was ein Schimmelpfennig-Stück wie dieses auszeichnet. Denn hinzu kommt das Magische als weitere Dimension und taucht das ganze Stückwerk in ein vernebelndes Licht: Erzählen, auch sachlich wirkendes, schützt vor Zauber nicht.
 
Weitere Informationen: www.deutschestheater.de

 Redaktion: Frank Becker