Nonsens mit Tiefgang

Das Beste von Nessi Tausendschön

von Frank Becker

Nessi Tausendschön und William Mackenzie - Foto © Dilip Saha
Verrücktes Huhn
oder Genie?
 
„Das Beste“ von und mit
Nessi Tausendschön
 
Seit 20 Jahren ist die immer junge und immer begehrenswerte Nessi Tausendschön auf deutschen Kleinkunstbühnen unterwegs. Deshalb hat sie nun als Zwischenbilanz „Das Beste“ zusammengestellt, ein Programm ihrer Höhepunkte (wenn Sie wissen, was ich meine).

Es macht ihr (und uns) Spaß

„Ich weiß nicht, ob Sie hier in Wermelskirchen schon mit Kultur in Verbindung gekommen sind“, stellte sie am vergangenen Samstagabend in der Wermelskirchener Kattwinkelschen Fabrik in den Raum. Ein verheißungsvoller Auftakt. Aber: „Sie werden uns liebgewinnen!“ relativiert sie ihr Bildungsmißtrauen – ein Versprechen, welches die außergewöhnliche Künstlerin (mit Partner William Mackenzie an diversen Gitarren und mit komödiantischem Zwischenspiel) einlöst. Nessi Tausendschön ist praktizierter Frustschutz, wie das befreiende Lachen über ihre atemlose Live-Reportage im WDR 6 von den Weltmeisterschaften im Kunstvögeln in Poppenbüttel, mit eingesprungener Gemächtwende und anderen Spezialitäten belegt. Der Frage, ob sie das nötig habe, beugt sie vor: „Hab ich nicht – aber es macht mir Spaß!“ Und sie kann es sich leisten, denn sie ist geistreich.

Nicht anbiedern!
 
„Man darf sich beim Publikum nicht anbiedern“. Das gilt auch vice versa. Nessi Tausendschön beherzigt es mit scharfem Spott, auch im harschen Dialog mit Herren in der ersten Reihe (dort möchte man nicht unbedingt sitzen) und mit naseweisen Zwischenrufern, die sie wirklich nicht mag, was jene in direkter Ansprache  zu spüren bekommen: „Sie machen mir mein ganzes Programm in´ Arsch!“ Nessi Tausendschön beherrscht, beweglich in Hüfte und Arm, die neue deutsche Leichtigkeit und den Ausdruckstanz, trägt nicht ganz 80 Strophen hochwertiger Lyrik mit Meta-Ebene vor, ist eine ulkige Nudel und perfekte Performerin, spielt die Singende Säge, das Glockenspiel und das Theremin, bricht alle Regeln des Kabaretts und ruft ihrem Publikum aus dem Off die Schmähung Weicheier hinterher. Auch das darf sie. Denn sie ist einfach genial.
 
Frau Tausendschöns Schutzengel

Nessi Tausendschön hat neben ihren charmanten Chansons, schlüpfrigen Schlagern („Eisprung“), merkwürdigen Moritaten, lieblichen Liedern und skurrilen Songs (nicht nur) eine Paradenummer, die allein genügen würde, ihr alle Klein- und Großkunstpreise zuzusprechen. Im schulterfreien weißen Kleid und mit zerzauster weißer Perücke (nur wo sind die bejammernswert gerupften Flügel geblieben?), in der Hand eine Weinflasche, aus der sie freigiebig auch die ersten Reihen versorgt, betritt sie als leicht angetrunkener „Schutzengel von Frau Tausendschön“ die Bühne, plaudert über ihre Kolleginnen, erobert mit zuckersüßem Lächeln und rutschendem Dekolleté auch das letzte noch eventuell verschlossene Herz und beklagt den Zustand der Welt: „Die Kinder heißen heute nicht mehr Kinder, sondern Kids und haben keine Kultur mehr. Die legen sich eine Reinigungskassette ein und tanzen dazu! Und ich stehe hier und trage Betroffenheitslyrik vor!“ Über ihr Alkoholproblem redet sie offen, säuft sich an, gerät völlig aus dem Leim und singt in der Engels-Tonart C-Dur „Ich trink mir die Welt schön“. Die muß man lieben.
 
Gabi Pawelka

Vergessen wir auch nicht Seminarleiterin Gabi Pawelka („Scheitern als Schangse“ / „Selbstsicherheit bei vollständiger Unzulänglichkeit“), resche Heiratskandidatin aus Schkopau und eigentlich Wunschfrau eines jeden Einsamen. Das steht sie im spacken geblümten Vorhangstoff-Kostüm und buhlt rührend in postsozialistisch strenger Haltung um die Gunst des möglichen zukünftigen „herrlischen Gatten“. Also, wer die nicht nimmt!
Das ist großartiger Nonsens mit Tiefgang, Albernheit von hohem Rang. Nessi ist einzig. Nessi und ihr Schutzengel haben unsere Auszeichnung verdient: den Musenkuß.
 
Weitere Informationen unter: www.nessi-tausendschoen.de  und in den Musenblättern